Witten. Vor 50 Jahren kam Jose Ramon Echeverria aus Spanien zum Arbeiten nach Witten. Sein Sohn Axel wurde Bundestagsabgeordneter. Was die Männer eint.

Die Lebensgeschichte seines Vaters hat ihn politisch geprägt. Heute sitzt Axel Echeverria als Abgeordneter für Witten im deutschen Bundestag. Vor allem eines hat ihm sein Vater, der vor mehr als 50 Jahren als „Gastarbeiter“ nach Deutschland kam, mitgegeben: Das Eintreten gegen Faschismus.

Ende der 1960er Jahre machte sich Jose Ramon Echeverria auf den Weg nach Deutschland. Damals war er etwa 30 Jahre alt. Hier wollte er Arbeit finden – aber auch dem spanischen Faschismus entkommen. In seinem Heimatland war damals Francisco Franco an der Macht, der das Land als Diktator bis 1975 regierte. „Gegen Faschismus einzutreten, war meinem Vater immer wichtig. Das hat mich mit politisiert und das hat mich mit auch zur SPD gebracht“, sagt Axel Echeverria.

Ankunft in Witten war ein Kulturschock für die Spanier

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Zusammen mit seinem besten Freund startete sein Vater aus dem Baskenland in Richtung Frankreich und dann weiter nach Deutschland. Mit Landkarte und Kompass suchten sie den richtigen Weg. Die Ankunft in Deutschland sei ein Kulturschock gewesen, erzählt Axel Echeverria. In dem ersten Lokal, in dem die beiden Spanier einkehrten, habe es fast nur Speisen gegeben, die sie nicht kannten.

Jose Ramon Echeverria arbeitete als Elektroniker für eine Wittener Firma – auch  unter Tage.
Jose Ramon Echeverria arbeitete als Elektroniker für eine Wittener Firma – auch unter Tage. © Echeverria

Das Einzige, was ihnen bekannt vorkam, sei gebratenes Hähnchen mit Pommes gewesen. „Danach haben sie sich monatelang von gebratenem Hähnchen und Pommes ernährt, weil sie einfach viel zu viel Angst vor Eisbein oder Sauerkraut hatten“, sagt der 42-Jährige. Später habe sein Vater dann aber auf Hähnchen verzichtet – „das konnte er irgendwann nicht mehr sehen.“

Echeverria kritisiert den Begriff „Gastarbeiter“

In Witten arbeitete Jose Ramon Echeverria als Elektroniker im Bereich Kälte- und Klimatechnik. Er fuhr zum Beispiel unter Tage, um Luftaustauschanlagen zu installieren. Dabei blieb er bis zur Rente. „Er hat sich hochgearbeitet“, sagt Axel Echeverria. Als „Gastarbeiter“ bezeichnet er seinen Vater nicht gerne: „Dieser Gedanke, das wären Gäste, die hier arbeiten und dann irgendwann wieder gehen, hat sich als Blödsinn herausgestellt.“

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Tatsächlich sind mehrere Millionen ehemalige „Gastarbeiter“ langfristig geblieben. Mittlerweile leben viele ihrer Familien in der dritten oder vierten Generation in Deutschland. Auch Jose Ramon Echeverria ist nicht nach ein paar Jahren Arbeit wieder zurück nach Spanien gegangen. Stattdessen hat er hier eine neue Heimat gefunden und eine eigene Familie gegründet. Bis zu seinem Tod 2006 lebte er in Witten.

In der Familie Echeverria wurde immer Spanisch gesprochen

Anfang der 1970er Jahre lernte er seine zukünftige Frau, Axel Echeverrias Mutter kennen. „Meine Mutter konnte perfekt Spanisch sprechen. Das war damals noch eine Seltenheit hier in Deutschland“, sagt der 42-Jährige. Durch regelmäßige Besuche bei Freunden ihres Vaters auf Mallorca habe sie schon als Kind Spanisch gelernt – ein großer Vorteil für das Kennenlernen und das spätere Zusammenleben.

Die Familie Echeverria: Vater Jose, Axel (vorn) und seine ältere Schwester.
Die Familie Echeverria: Vater Jose, Axel (vorn) und seine ältere Schwester. © Echeverria

„Unsere Verkehrssprache in der Familie war immer Spanisch“, erinnert sich Axel Echeverria. Sein Vater habe nur auf der Arbeit ein wenig Deutsch gelernt, aber nie einen Deutschkurs besucht. Mit seinen Schwestern wechselt der Wittener in Gesprächen auch heute noch zwischen Deutsch und Spanisch hin und her. „Wir merken oft gar nicht, dass wir die Sprache wechseln – erst, wenn die anderen Leute uns komisch angucken, weil sie uns nicht mehr verstehen“, sagt Echeverria.

Vater vermittelte seinen Kindern die spanische Kultur

Als Kind habe er jede freie Zeit bei seinen spanischen Großeltern verbracht: Die Sommerferien und wenn möglich auch Oster- und Weihnachtsferien waren für Familienbesuche in der Heimat des Vaters reserviert. „Es war immer Thema, dass wir zwei Wurzeln haben, also dass wir nicht nur in Deutschland großwerden. Meinem Vater war es auch extrem wichtig, uns die Sprache und das Wissen darüber, wo der andere Teil unserer Familie herkommt, mitzugeben.“

Doch auch in Witten habe es in den 1980er Jahren eine große spanische Gemeinschaft gegeben. Als Kind sei er häufig zu einem spanischen Kreis nach Annen gefahren, der zum Beispiel Karnevalsfeiern organisierte. Viele Mitglieder seien später jedoch wieder zurück nach Spanien gegangen.

Wegen der Herkunft seines Vaters erlebt Echeverria Diskriminierung

In anderen Bereichen machte Echeverria als Kind eines spanischen Vaters weniger gute Erfahrungen. In der Grundschule habe er im Religionsunterricht vor der Klasse erzählen müssen, wie in Spanien Weihnachten gefeiert wird. Dort seien die Geschenke damals noch von den Heiligen Drei Königen gebracht worden, anstatt von Christkind oder Weihnachtsmann. „Darüber hat meine Lehrerin dann sehr abfällig gesprochen“, erinnert sich der Wittener.

600.000 Menschen kamen aus Spanien

Im März 1960 wurde das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Spanien unterzeichnet. Bis zum Anwerbestopp 1973 kamen etwa 600.000 Menschen aus Spanien nach Deutschland. Fast drei Viertel von ihnen gingen später zurück nach Spanien.

Wie viele spanische „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“ zum Arbeiten nach Witten kamen, lässt sich nicht genau sagen. Laut Stadtarchiv sind im Statistischen Jahrbuch von 1971 für das Jahr 1970 158 ausländische Beschäftigte aus Spanien sowie 294 „ortsansässige Ausländer“ spanischer Herkunft verzeichnet.

Bis heute erlebt Echeverria Diskriminierung – vor allem wegen seines spanischen Nachnamens: „Mit einem ausländisch klingenden Nachnamen erlebt man interessante Dinge.“ In einem Hotel sei ihm zum Beispiel einmal gesagt worden, er sehe gar nicht so aus, wie er heiße.

Das Eintreten gegen Faschismus und Rechtspopulismus ist Echeverria aufgrund seiner eigenen Geschichte und der seines Vaters bis heute sehr wichtig. Als Bundestagsabgeordneter setze er sich dafür ein, dass Menschen, die zum Beispiel als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, eine reelle Chance bekommen. „Daran erinnert mich immer meine eigene Familiengeschichte“, sagt der 42-Jährige. Schließlich habe auch sein Vater bei seiner Ankunft in Deutschland Ende der 1960er Jahre von 0 anfangen und sich ein ganz neues Leben aufbauen müssen.