Witten. Der Vater von Alexandra Konstantinopoulos kam als „Gastarbeiter“ nach Witten. Warum sie sich so stark mit seinem Herkunftsland verbunden fühlt.
Alexandra Konstantinopoulos ist Halb-Griechin – doch ihr ganzes Herz hängt an dem südeuropäischen Land. Als Tochter eines ehemaligen griechischen „Gastarbeiters“ und einer deutschen Mutter ist ihr Leben geprägt von der Zerrissenheit zwischen den beiden Ländern.
Ihr Vater stammt aus Platanovrisi, einem kleinen Dorf außerhalb von Patras in Westgriechenland. 1962 zog er nach Witten, hatte zuvor bereits einige Zeit in Berlin und in Bielefeld gelebt. „Er wollte hier ein bisschen arbeiten, bis er genug Geld hatte, um sich ein Auto zu kaufen“, sagt die 55-Jährige. In Witten begann er, als Dolmetscher und Betreuer für die griechischen „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“ bei den Deutschen Edelstahlwerken zu arbeiten. „Er war damals eine Art Integrationshelfer für seine eigenen Landsleute“, sagt Konstantinopoulos.
Die Eltern lernten sich in einer Anwaltskanzlei in Witten kennen
Kurze Zeit später lernte der heute 84-Jährige seine zukünftige Frau, Alexandras Mutter, kennen. Bis heute sind die beiden verheiratet. Sie arbeitete damals als Rechtsanwaltsgehilfin bei einem Anwalt, den er als Dolmetscher für andere „Gastarbeiter“ aufsuchte. Wenig später trafen sie sich in einem Café wieder, indem beide mit Freunden zum Kaffeetrinken verabredet waren.
Nach dem Kennenlernen habe ihre Mutter schnell damit begonnen, Griechisch zu lernen, sagt Alexandra Konstantinopoulos. „Mein Vater hat meiner Mutter von Anfang an gesagt, dass er wieder zurück nach Griechenland gehen will. Das war für sie in Ordnung.“
Nachdem ihre Tochter 1967 geboren wurde, blieb die Familie jedoch erst einmal in Deutschland. Erst als sie die Schule beendet hatte und ein Studium anfing, zogen ihre Eltern für einige Jahre nach Griechenland. Mit der Geburt ihres ersten Enkelkindes kamen sie Ende der 1990er Jahre aber wieder zurück nach Deutschland. Heute pendeln die beiden: Den Sommer verbringen sie in der Regel in Griechenland, den Winter in Deutschland.
Konstantinopoulos wuchs in Witten in einer großen griechischen Gemeinschaft auf
Obwohl sie in Witten aufwuchs, hatte Alexandra Konstantinopoulos als Kind viel Kontakt zu anderen Griechen. Ihr Vater betrieb eine Gaststätte und später ein Restaurant, das zum Treffpunkt der damaligen „Gastarbeiter“ wurde. In Witten habe es eine große griechische Gemeinschaft gegeben, die Feste mit Musik, Tanz und Tombolas organisierte, erinnert sich die Lehrerin. Auch ein Onkel und ihre Großmutter aus Griechenland lebten zeitweise in Witten. Ihre Großmutter betreute sie, wenn ihre Eltern arbeiten mussten. „Ich glaube, ich habe über weite Strecken meines Lebens mehr Zeit mit Griechen verbracht als mit Deutschen“, sagt Konstantinopoulos, die zweisprachig aufgewachsen ist.
Ein wichtiger Treffpunkt für die Griechen in Witten war damals das Café Leye. Als Kind verbrachte sie dort viel Zeit mit ihren Eltern und spielte auf den Stufen der geschwungenen Treppe. Als das Café 2021 wiedereröffnete, war das für die Wittenerin wie eine Zeitreise. Vieles von der Einrichtung und dem Stil von damals ist erhalten geblieben. „Ich sehe das noch vor mir, wie die Leute hier saßen, mit ihren riesigen Zeitungen, die an Holzstäben befestigt waren. Das hat mich als Kind sehr fasziniert“, sagt die Wittenerin. Sie wünscht sich, dass ihr Vater im Café Leye ebenfalls in Erinnerungen schwelgen kann. Doch für den 84-Jährigen sei die geschwungene Treppe ins Obergeschoss ein großes Hindernis.
Zerrissenheit zwischen Deutschland und Griechenland prägt die Wittenerin
Fast 650 griechische „Gastarbeiter“ lebten 1970 in Witten
Die Bundesrepublik Deutschland und Griechenland unterzeichneten im März 1960 ein Anwerbeabkommen. Mehr als 600.000 Menschen kamen daraufhin als „Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“ aus Griechenland nach Deutschland.
Laut dem Statistischen Jahrbuch von 1971, das dem Wittener Stadtarchiv vorliegt, zählte Witten im Jahr 1970 906 „ortsansässige Ausländer“ aus Griechenland. 649 Griechinnen und Griechen waren demnach als „ausländische Beschäftigte“ eingetragen.
Bis heute hat Konstantinopoulos eine enge emotionale Bindung zu Griechenland. „Wenn ich lange nicht dort bin, habe ich Heimweh nach Griechenland. Auch wenn mein Lebensmittelpunkt, meine Heimat, eigentlich hier in Deutschland ist“, sagt sie. Die Zerrissenheit zwischen Deutschland und Griechenland prägt die 55-Jährige schon ihr ganzes Leben lang. „Ich bin nun mal beides, Deutsche und Griechin. Aber ich kann nicht in beiden Ländern gleichzeitig leben. Spätestens, wenn man Familie hat, muss man sich entscheiden.“ Letztendlich ist Konstantinopoulos mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern, die 23 und 16 Jahre alt sind, in Witten geblieben. Auch wenn die Überlegung, nach Griechenland zu ziehen, immer wieder im Raum stand.
Wenn sie in den Ruhestand geht, will die 55-Jährige noch einmal neu darüber nachdenken, wo ihr Lebensmittelpunkt sein soll. Doch für sie steht fest: „Ich möchte nah bei meinen Kindern bleiben. Wenn mein Mann und ich nach Griechenland gehen und meine Kinder hierbleiben würden, fände ich das nicht schön.“
Die Lehrerin liebt das positive Lebensgefühl in Griechenland
Derzeit macht sie mit ihrer Familie zwei bis drei Mal im Jahr Urlaub in dem Heimatort ihres Vaters. Sie genießt dort das strahlende Sonnenlicht, den griechischen Kaffee und die Gastfreundschaft – aber vor allen Dingen das positive Lebensgefühl: „In Griechenland setzt man sich ans Meer, das Wetter ist schön, man bestellt sich zwei oder drei Kleinigkeiten und es läuft gute Musik. Das ist Glück für mich, mehr brauche ich nicht.“