Witten. Mit Verweis auf eine seit 2008 gültige DIN-Norm hat Witten Hangrutschen plötzlich auf Spielplätzen gesperrt. Wie kann das sein?

„Witten verbietet Kindern das Rutschen!“ Am Tag, nach dem in Witten viele Hangrutschen auf Spielplätzen, in Kitas und auf Schulhöfen abmontiert wurden, ist das Entsetzen und Kopfschütteln groß. Die Begründung der Stadt, die 16 Hangrutschen würden nicht der aktuell geltenden DIN-Norm entsprechen, stößt auf Unverständnis – auch in Nachbarstädten, in denen baugleiche Spielgeräte weiterbenutzt werden dürfen.

Enttäuschte Gesichter bei den Kindern der Kita Buchholz: Die Hangrutsche war erst vor zwei Jahren installiert und vor einem Jahr routinemäßig durch den TÜV geprüft worden. „Die Rutsche wird so geliebt. Und wir hatten darauf noch nicht einen Unfall“, sagt Kita-Leiterin Sabine Siekmann. Trotzdem wurde das Spielgerät am Dienstagnachmittag abmontiert. Und wie an den meisten der 15 Standorte gilt: Die Rutschen werden in diesem Haushaltsjahr nicht ersetzt. Auf dem Kita-Außengelände bleibt ein leerer Erdhang zurück. Na, viel Spaß beim Runterkullern.

„Absolute Lachnummer“ oder „Bürokratie- und Sicherheitswahn“ lauten die Reaktionen von Eltern. „Solche Anlagen müssten doch Bestandsschutz haben“, wundert sich Thomas Sprenger, Sprecher der Stadt Bochum. Alle Hangrutschen auf Spielplätzen in Bochum entsprächen der DIN-Vorschrift, dort darf weiter gerutscht werden. So auch in Dortmund, von den dortigen 400 Spielplätzen wird keine einzige Hangrutsche entfernt. Die Norm EN 1176 ist wohlgemerkt seit 2008 in Kraft und gilt europaweit.

Ein kahler Hang ohne Rutsche: So sieht jetzt die Spielfläche auf dem Gelände der Kita Buchholz in Witten aus.
Ein kahler Hang ohne Rutsche: So sieht jetzt die Spielfläche auf dem Gelände der Kita Buchholz in Witten aus. © Juergen Theobald

„Hat die Stadt Witten es etwa in der Vergangenheit versäumt, die Rutschen auf ihren Spielplätzen regelmäßig auf den Stand der Technik zu bringen“, fragt sich Mülheims Stadtsprecher Volker Wiebels. Auch dort dürfen die Hangrutschen weiter bespielt werden. Warum reagiert allein Witten so?

Sachverständiger: Bestehende Anlagen kann man anpassen

Auch interessant

Die in Witten abgebauten Hangrutschen weichen von der DIN-Norm dahingehend ab, dass ihr Einstieg zu flach ist und am Rand teilweise Pflastersteine liegen. Vor allem muss die Rutsche ebenerdig aufliegen, so dass Kinder nicht durchkrabbeln und sich einklemmen könnten.

„Aber die Sperrung einer Anlage ist nur erforderlich, wenn ein erhebliches Gefahrenpotenzial besteht“, sagt Rainer Sielker, der seit Jahrzehnten als Sachverständiger für den TÜV Nord arbeitet. „Was gestern gut war, kann nicht morgen ganz falsch sein.“ Bestehende Anlagen könne man durch kurzfristige Maßnahmen an Regelwerke anpassen: etwa Steine im Umkreis der Rutsche entfernen, Gummimatten verlegen oder zusätzlich Absperrungen installieren, so dass über die Lebensdauer der Rutschenanlage ein sicherer Betrieb möglich sei.

Stadt Witten: Bestandsschutz von Geräten wurde intensiv genutzt

Auch interessant

Im Gegensatz zu den Nachbarstädten gab es in Witten Anfang des Jahres an einer Grundschule einen kleinen Unfall am Einstieg einer Hangrutsche. Solche Unfälle sind meldepflichtig, was die Grundschule tat. Daraufhin kontaktierte die Gemeindeunfallversicherung (GUV) die Stadt Witten. „Wir wurden darauf hingewiesen, dass die DIN nun dringlich in Umsetzung gebracht werden müsse“, sagt Stadtsprecherin Lena Kücük. Das sei wie eine Abmahnung beim Auto-TÜV. „Darauf nicht unverzüglich zu reagieren, war für uns keine Option.“

Auch interessant

Sie versichert: Städtische Mitarbeiter hätten die DIN-Vorschrift EN 1176 seit 2008 schrittweise angepasst. Zuerst wurden über die Jahre sogenannte Bockrutschen (Rutschen mit Leiter) durch Röhren- oder Hangrutschen ersetzt. Ab 2021 wurden wiederum die Hangrutschen angepasst. Die Spielgeräte an der Pestalozzischule und an der Kita Wemerstraße erhielten zum Beispiel einen Prallschutz. „Die Übergangszeiten und der Bestandsschutz von Geräten wurden intensiv genutzt, ebenso gab es gewissenhafte Spielplatzkontrollen durch die Stadt Witten und durch externe Prüfer“, so Kücük.

Das Bedauern ist auf allen Seiten groß. In der Grundschule Herbede traut sich die Rektorin kaum, den Kindern mitzuteilen, dass auch ihre Rutsche bald abgebaut wird. „Zumal das Klettergerüst aus Sicherheitsgründen gerade abgesperrt ist, weil eine Seilstrebe defekt ist“, sagt Sabine Bender.