Witten. Von Wengern bis Witten-Mitte wurden Flüsse, Tümpel und Teiche angelegt. Bald weiden Hochlandrinder vor dem Edelstahlwerk. So schön wird die Ruhr.

Fast vier Jahre lang wurde die Ruhr zwischen Wetter-Wengern und der Nachtigallbrücke in Witten umgestaltet – von dem vom Menschen geformten Industriefluss zurück zu einer Naturlandschaft. Dieses spannende Projekt neigt sich dem Ende. In gut zwei Wochen sind die Erdarbeiten in den Ruhrauen nahe dem Edelstahlwerk fertig. Dann dürfen Fische, Eisvögel oder Uferschwalben ihre einstige Heimat zurückerobern.

Auf der Nachtigallbrücke gibt’s zurzeit viele Zuschauer – denn was die Bagger am Ruhrufer unter der Brücke für Erdmassen bewegen, ist beeindruckend. 15.000 Kubikmeter Bodenaushub sind weg. Entstanden sind mit flachem Wasser gefüllte Senken und Flüsschen. Sie lassen an eine Badelandschaft denken – die aber Menschen nie betreten sollen. Bald wird das Areal eingezäunt, damit bodenbrütende Vögel oder Fische hier ihre Ruhe haben. Dafür, dass an heißen Sommertagen keine Kanuten hier anlanden und sich sonnen, sorgen andere: Das Gelände nahe Ruhrdeich und Mühlengraben wird als Weide von Robustrindern genutzt. Spätestens im Frühjahr 2023 sollen sie ihre „Arbeit“ aufnehmen.

Regionale Grünlandmischung in Witten mit vielen Wildkräutern ausgesät

Holger Kulik, links, und Jan Stute sind die verantwortlichen Ingenieure für die Ruhr-Renaturierung.
Holger Kulik, links, und Jan Stute sind die verantwortlichen Ingenieure für die Ruhr-Renaturierung. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

In den nächsten Wochen wird die Erde zu einem Aussichtshügel zusammengeschoben, der direkt vom Ruhrdeich aus begehbar ist. Außerdem werden die tiefen Reifenrillen der Bagger eingeebnet, der Zaun gezogen und gesät. „Eine regionale Grünlandmischung mit vielen Wildkräutern“, erklärt Holger Kulik, Bauleiter der Bezirksregierung in Arnsberg. Ende 2022 sei das Areal dann so begrünt, dass die Rinder zum Frühjahr 2023 einziehen können. Mehrere Tierhalter hätten sich schon bei der Bezirksregierung um den Vertrag beworben. Welcher Landwirt den Zuschlag erhält und ob dort nun schottische Hochlandrinder, Auerochsen oder Galloway-Kühe weiden werden, steht noch nicht fest.

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Mit der 250.000 Euro teuren Baumaßnahme hinkt die Bezirksregierung etwas hinterher und darf nur mit Ausnahmegenehmigung weiterbuddeln. Mehrere Blindgängerfunde hatten die Bauarbeiten ausgebremst. Danach ließ der viele Regen im Januar und Februar die Ruhrauen überschwemmen. „Jetzt arbeiten wir so schnell es geht“, sagt Holger Kulik.

Eine Erde wie Blätterteig

Gut zu sehen sind die nun künstlich angelegten Altarme der Ruhr. Nur 30 Zentimeter ist das Ruhrwasser hier hoch. „Wir glauben, dass das flache Wasser schnell besiedelt sein wird“, sagt Projektleiter Jan Stute. Das Ufer ist teils steil, teils flach modelliert, auch das ist gewollt. In den Steilhängen sieht man die verschiedenen Erdschichten, den „Auenlehm“, erklären die Experten. „Die Erde ist hier wie Blätterteig. Immer wenn die Ruhr über die Ufer geht, bleiben Sedimente zurück.“ Beobachter können auch viel „Ruhrschotter“ entdecken. So nennt man die flachen Kieselsteine, die der Fluss rund gewaschen hat.

Artenarmer Fluss

Mehrere Ziele verfolgt die Bezirksregierung Arnsberg mit der Renaturierung der Ruhr: Zwar ist die Wasserqualität in den letzten Jahren besser geworden, viele Pflanzen- und Fischarten sind aber verschwunden. Hauptursache dafür war die künstliche Uferbefestigung mit massiven Steinen, die keine Buchten oder Nebenarme zuließ.

Weitere Rollen spielen der Hochwasserschutz und der Kampf gegen den Bärenklau. Die Fläche unterhalb der Nachtigallbrücke war komplett mit der „invasiven Pflanzenart“ zugewachsen. Die Weidetiere werden dafür sorgen, dass dieser nicht wiederkommt.

„Es kann sein, dass das Gewässer irgendwann wieder zuwächst. Aber es altert dann auf natürlichem Wege“, erklärt Holger Kulik. Er und sein Kollege werden das Gelände bald in die Verantwortung der Bezirksregierung Düsseldorf zurückgeben, die auch die Schifffahrt auf der Ruhr regelt.

Weiterer Verlauf der Ruhr kann nicht aufgeweitet werden

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Damit endet die Renaturierung der Wittener Ruhr. 3,7 Kilometer des Flusslaufs haben dann mehr Breite. Los ging es 2018 auf 48 Hektar Fläche in Bommern (der Spiek) und 13 Hektar in Wetter. Ab 2019 wurde in Gedern gearbeitet, aktuell auf den 700 Metern Flusslauf bis zur Nachtigall-Brücke. Viel weiter ist die Ruhr nicht renaturierbar. „Ab jetzt kommen Stauflächen“, erklärt Holger Kulik. Entlang des Wasserwerk-Geländes oder der Herbeder Schleuse kann man das Gewässer nicht aufweiten, kurz darauf folgt der Kemnader Stausee. Der Platz, an dem sich die Ruhr in Witten entfalten kann, ist begrenzt.