Witten. Zwischen Nachtigallbrücke und Mühlengraben in Witten wird die Ruhr in den nächsten Monaten renaturiert. Dann ziehen Hochlandrinder in die Aue.

Ein Blick von der Nachtigallbrücke ins Ruhrtal zeigt pure Idylle. Wald, die Ruhrauen, der träge fließende Fluss, der so sauber ist, dass er unser Trinkwasser speist und gern unser Strandbad wäre. Von wegen! „Unbefriedigend“ nennt die Bezirksregierung Arnsberg die Flussqualität bei Witten. Zumindest wenn „Sie die Ruhr aus der Sicht eines Fisches betrachten“.

In den nächsten Monaten wird deshalb ein 1,2 km langer Abschnitt der Auen zwischen Nachtigall und Mühlengraben umgebaut – sprich renaturiert. Große Bagger schaufeln 15.000 Kubikmeter Erde und Gestein weg, damit das Wasser sich mehr ausbreiten und in die Aue fließen kann. Dazu werden ein Altarm und eine Flutrinne angelegt, dessen Vertiefungen man bereits jetzt schon erkennt.

Aussichtspunkt über das Ruhrtal

Der Bodenaushub wird an den Rand des Tales auf das Niveau der Straße Ruhrdeich aufgeschüttet. Dort entsteht ein Aussichtspunkt für Besucher, der einen Blick über das Ruhrtal und seinen Artenreichtum erlaubt. Als besondere Attraktion werden dort bald zottelige Hochlandrinder ganzjährig weiden. Sie sind nicht nur hübsch anzusehen. Die Tiere werden auch dem Bärenklau und anderen wuchernden Problempflanzen zu Leibe rücken.

Das ist die Ruhraue, die nun renaturiert wird. Im Hintergrund DEW, rechts (nicht im Bild) liegt die Zeche Nachtigall.
Das ist die Ruhraue, die nun renaturiert wird. Im Hintergrund DEW, rechts (nicht im Bild) liegt die Zeche Nachtigall. © FUNKE Foto Services | Barbara Zabka

Dass die Ruhr nicht so sauber ist, wie es die „Europäische Wasserrahmenrichtlinie“ erfordert, sieht man daran, dass man zu wenig Insektenlarven, Muscheln oder Schnecken an den Ufern findet – Lebewesen, die in Kiesbänken oder kleinen Inseln zuhause sind und den Fischbestand der Ruhr mit Barben oder Elritze nähren.

Holger Kuli, Jan Frederic Stute und Ulrich Detering von der Bezirksregierung Arnsberg waten in Gummistiefeln durchs Wasser und drehen einzelne Steinbrocken um, auf der Suche nach kleinen Groppe-Fischen. Sie suchen vergeblich, aber einen kleinen Bachflohkrebs finden sie. „Eigentlich müssten das viel mehr sein“, sagt Detering.

Blindgängersuche bremst Bauarbeiten

Die drei Wasserbau-Ingenieure haben bereits die Ruhrauen bei Wengern, Gedern und Bommern umgestaltet. Längst sollte auch der Teil entlang des Ruhrdeichs in Arbeit sein. Aber die bei Bauarbeiten erforderliche Suche nach Blindgängern bremst alle Pläne. Hier, nahe am Stahlwerk, gingen besonders viele Bomben nieder. Aus den zunächst vermuteten drei Verdachtspunkten sind inzwischen über 20 geworden.

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Bis Dezember 2021 sollen die Arbeiten dennoch beendet werden. „Wir können keine Renaturierung bauen, aber dem Fluss eine Starthilfe geben“, sagt Holger Kulik. Vor allem werden die Steinschüttungen abgebaut, die das Flussufer zurzeit noch begrenzen. Sobald das Wasser in die Aue ausweichen kann, setzt es die Arbeit alleine fort. Schwemmt Totholz an, baut Kiesbänke auf oder staut Blänke (kleine Tümpel) an, in der Fische laichen oder sich vermehren können.

Auerochsen oder Hochlandrinder

250.000 Euro werden die Arbeiten kosten, finanziert aus dem Landesprogramm „Lebendige Gewässer“. Die Renaturierung verbessert auch den Hochwasserschutz. „Der Fluss wird breiter, die Aufnahmekapazität größer und die Fließgeschwindigkeit geringer“, sagt Jan Frederic Stute.

Diese Auerochsen grasen in den Ruhrauen in Hattingen.
Diese Auerochsen grasen in den Ruhrauen in Hattingen. © Fischer / FUNKE Foto Services | Fischer

Beeindruckendes Erfolgsprogramm

Die Ruhrauen nahe der Nachtigallbrücke sind der letzten Abschnitt eines Projekts, das 2018 an der Mündung des Stollenbachs in Wengern gestartet ist. Gearbeitet wurde bis zum Campingplatz Steger in Bommern, sowie, zusammen mit den Stadtwerken Witten, in Gedern.

Die Ergebnisse haben die Erwartungen der Fachleute bereits übertroffen: So hat sich an der Ruhr bei Wengern die Population der Eisvögel mehr als verdoppelt. Über 80 Uferschwalben konnten in diesem Jahr beim Bau ihrer Bruthöhlen (etwa 140 Röhren) beobachtet werden.

Um die Gewässerunterhaltung in Witten kümmert sich die Bezirksregierung Düsseldorf. Die Experten der Renaturierung kommen aus Lippstadt. Der Umbau in Witten ist nur möglich, weil Gelsenwasser 2012 und 2015 große Uferflächen an die Bezirksregierung verkauft hat. Sie waren bis dato zum Ausbau der Trinkwasserversorgung vorgehalten worden. In Zeiten, in denen Städte schrumpfen, sind sie aber nicht vonnöten.

Herzstück der Aue werden die „Robustrinder“ sein. Aktuell wird ein Landwirt gesucht, mit dem die Bezirksregierung dann einen Pachtvertrag schließt. Denn es dürfen nicht zu viele Tiere auf der Fläche grasen – und sie quasi kahlscheren. Die Natur soll sich schließlich erholen. Woanders sind die Zottelrinder bereits Publikumslieblinge. In Hattingen grasen Auerochsen, in Wetter Schottische Hochlandrinder und buckelige Zebus. Schwarz-weiße Kühe würden den Bärenklau genauso gut bekämpfen, weiß Ulrich Detering. Aber die ursprünglichen Tiere „tragen zur Identität bei“ und helfen offenbar bei der Akzeptanz eines solchen Projektes.

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Denn: Das Ufer wird für die Wittener vom Ruhrdeich aus nicht mehr zugänglich sein. Die Weide wird eingezäunt, am Wasser halten die Rinder Hunde und ihre Besitzer fern. Detering ist das nur recht – schließlich können so zum Beispiel Wasservögel in Ruhe brüten. Der Dezernent für Wasserwirtschaft ist überzeugt: „Auch wenn man an dieser Stelle nicht mehr ans Ufer kommt, wir bringen den Menschen mit dieser Maßnahme den Fluss wieder näher.“