Witten. Wegen Hausfriedensbruch stand Bernd, Wittens stadtbekannter Obdachloser, vor Gericht. Ein Psychiater hält ihn für schuldunfähig.

Eigentlich gehört er schon zum Stadtbild von Witten dazu: Bernd, der Obdachlose, der seit vielen Jahren in der Stadtgalerie übernachtet, morgens dann seinen Platz auf dem Mäuerchen an der Berliner Straße in Beschlag nimmt. Viele Passanten kannten und grüßten ihn. Doch im letzten Jahr hat sich der Zustand des 56-Jährigen offenbar in vielerlei Hinsicht verschlechtert. Am Mittwoch stand er nun vor Gericht. Ein Gutachter relativierte dabei das Bild, das viele wohl von dem Mann auf dem Mäuerchen haben.

Vielfachen Hausfriedensbruch in der Stadtgalerie warf die Staatsanwaltschaft dem gebürtigen Wittener vor. Verhandelt wurden Vorfälle zwischen Herbst 2020 und dem Jahresanfang 2021. Immer wieder hatte sich Bernd über ein von der Mall verhängtes Hausverbot hinweggesetzt, dabei auch in einigen Fällen andere beteiligte Personen beleidigt und bedroht.

Mehrfach musste der Krankenwagen zur Stadtgalerie Witten gerufen werden

Besonders auffällig sei aber, das betonte die Vorsitzende Richterin, dass für den 56-Jährigen auch in mehreren Fällen ein Krankenwagen gerufen werden musste, etwa wegen Kopfschmerzen und Schwindel. Die Polizei, die „Dauergast“ in der Stadtgalerie gewesen sei, habe auch von einem schlechten Allgemeinzustand berichtet.

Das bestätigte eine Polizistin, die stellvertretend für viele Kollegen, eine Aussage im Prozess machte. Sie kenne den Obdachlosen seit rund sieben Jahren aus wechselnden Einsätzen. Er habe bislang alle Hilfsangebote abgelehnt oder nach kurzer Zeit abgebrochen. „Es hat immer Phasen gegeben, in denen es schlimmer wurde“, so die Beamtin.

Polizei begleitet Obdachlosen mehrmals am Tag vor die Tür

Aber im letzten Jahr sei es immer mehr bergab gegangen, auch was die Hygiene des 56-Jährigen anbelangt. An manchen Tagen seien sie und Kollegen fünf- oder sechsmal gerufen worden und mussten den gebürtigen Wittener aus der Stadtgalerie hinaus begleiten – oder ihn schließlich in Gewahrsam nehmen.

„Man muss bedenken, dass unser Handeln dort eine enorme Außenwirkung auf die Bevölkerung hat“, so die Polizistin. Passanten hätten etwa das Einschreiten der Beamten kritisiert. Die Situation sei für alle sehr unangenehm. Auch, weil man immer wieder „mit Engelszungen“ auf Bernd eingeredet, ihm Hilfe angeboten habe.

Psychiater sieht Schuldunfähigkeit und Persönlichkeitsstörung

Doch wie umgehen mit dem Obdachlosen, der stets betont hat, dass er in keine Einrichtung gehen möchte? Diese Frage sollte im Prozess ein forensischer Psychiater beantworten. Dieser bescheinigte dem stadtbekannten 56-Jährigen eine sehr schwere Alkoholabhängigkeit.

Diese habe ihn sowohl körperlich als auch seelisch krank gemacht. Er habe eine andauernde Persönlichkeitsstörung entwickelt. „Er hat kein Verhältnis zu seinen Taten, seine Einsichtsfähigkeit ist stark gestört,“ so der Experte. Das würde ihn zu einem schuldunfähigen Angeklagten machen.

„Er kann selbst nicht abwägen, ob die Straße ein guter Ort für ihn ist“

Und: Der Obdachlose sei zur freien Willensbildung nicht mehr fähig, könne nicht abwägen, ob die Straße eine guter Ort für ihn ist oder nicht. Er sei dort nicht mehr gut aufgehoben. „Das ist ein Krankheitsbild, keine freie Entscheidung wild zu leben.“ Der Psychiater riet daher dringend, eine geschlossene Einrichtung für Suchtkranke für den 56-Jährigen zu finden.

Obdachloser sitzt derzeit im Gefängnis

Im Dezember hat die Stadtgalerie ihren Durchgang Richtung Bahnhof beziehungsweise City abends und nachts geschlossen. Als Grund nannte das Center-Management Randale und Fäkalien von Obdachlosen.

Bernd stand 2018 und 2020 wegen ähnlicher Delikte wie dem jetzt verhandelten Hausfriedensbruch vor Gericht. Derzeit sitzt er noch bis September die 2020 verhängte Haftstrafe ab, die er im Februar 2021 angetreten hat. Bei der damaligen Verhandlung wurde noch seine Schuldfähigkeit festgestellt.

Die Stadt verweist darauf, dass sie nur Hilfsangebote machen könne. „Wenn jemand auf der Straße schlafen will, kann er das tun“, so eine Sprecherin.

Dem schloss sich das Gericht an. Es handle sich hierbei nun nicht mehr um einen Strafprozess, sondern um Sozialarbeit, so die Vorsitzende Richterin. „Wir können uns um Ihr Leben anders und auch besser kümmern als Sie selbst.“ Nun werde es darum gehen, eine gute Lösung zu finden, ein Hilfesystem zu installieren, das funktioniert. Gespräche bis hin zum Bürgermeister hätten schon stattgefunden.