Witten. Die Traditionsbäckerei „Erdelmanns Backstübchen“ in Witten musste während des Lockdown ihr Straßencafé schließen. Nun geht’s endlich wieder los.
„Erdelmanns Backstübchen“ ist eine der wenigen verbliebenen Traditionsbäckereien in Witten und die letzte in Herbede. Seit 92 Jahren backen die Erdelmanns an der Meesmannstraße ihr Brot. Wer die Bäckerei betritt und sich umschaut, der kann ein Stück Familiengeschichte entdecken. Und sich, während man im Straßencafé Kaffee und Torte genießt, so fühlen wie vor dem Lockdown.
An den Wänden hängen Fotos von Bernd Erdelmanns Großvater Erich, der die bereits bestehende Backstube im Jahr 1929 übernahm und sie zum Familienbetrieb ausbaute. Vor 26 Jahren übernahm Bernd Erdelmann die Bäckerei von seinem Vater. Vieles hat der heute 63-Jährige beibehalten. Immer noch verkauft er die Leipziger Torte nach Traditionsrezept, bestehend aus Nougatcreme auf Krokantboden. „Das ist die einzige Torte ohne Kalorien sage ich immer, weil es 1929 noch keine Kalorien gab“, erklärt Bernd Erdelmann und lacht. Von fertig gekauftem Mürbeteig und Streuseln will der Bäckermeister nichts wissen. Auch Apfel – und Käsekuchen macht Bernd Erdelmann „noch nach der alten Schule“. Vormischungen für Brote reichert er immer mit eigenen Zutaten an.
Nougatcreme auf Krokantboden: An alten Rezepturen festhalten
Sein Erfolgsrezept in einer Zeit, in der kleine Bäckereien aussterben? „Ich mache es nicht wie die großen, sondern halte mich an alte Rezepturen und das funktioniert gut“, sagt der Bäcker. Doch: Flexibel müsse man auch sein und auf die aktuellen Kundenwünsche eingehen. So verkauft seine Frau Anja Erdelmann, die den Bäcker tatkräftig unterstützt, Bio-Vollkornbrot der Bochumer Hutzelbäckerei. „Das kommt total gut an“, sagt die gebürtige Rostockerin. Neben neueren, trendigen Innovationen wie Chia-Brot finden sich in „Erdelmanns Backstübchen“ aber auch stets Klassiker wie Kaiserstuten, Kassler und Weizen-Roggen-Brot.
Eine besondere Spezialität sind bei den Erdelmanns die Torten. In der Auslage finden sich an diesem Tag Käsetorte, Schwarzwälder Kirsch, Mandarinen - und Sachertorte. Für Hochzeiten und andere Feierlichkeiten fertigen die Erdelmanns etagenhohe Kalorienbomben an. „Während des Lockdowns hatten wir natürlich keine Anfragen mehr“, sagt Bernd Erdelmann. Auch der kleine Cafébetrieb im Innen-und Außenbereich fiel weg. Doch „Erdelmanns Backstübchen“ hat diese Zeit überstanden.
Kunden aßen Kuchen im Dorf auf einer Bank
Immerhin lief der Verkauf der Backwaren weiter. „Wir sind unseren Kunden da sehr dankbar, dass sie weiterhin gekommen sind“, sagt Anja Erdelmann. Viele hätten sich dann ein paar Stücke Kuchen zum Mitnehmen für zuhause geholt oder im Dorf auf einer Bank gegessen, erzählt ihr Mann.
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Die Freude, dass das Straßencafé wieder läuft, ist Anja Erdelmann anzusehen. Zunächst hatte sie vier Tische nach draußen gestellt – nach zehn Minuten mussten schon ein paar weitere dazu gestellt werden. Genau am Tag der Wiedereröffnung fiel dann der Kaffeevollautomat aus, mit dem Anja Erdelmann eigentlich Cappuccino und Milchkaffee zaubert. „Einer Cafébesucherin, die sonst immer Cappuccino trinkt, konnte ich dann leider keinen machen“, erzählt die 54-Jährige. Doch alles, was die Kundin an diesem Tag wollte, war einen Filterkaffee zu trinken und am Tisch in der Sonne zu sitzen. „Ich habe richtig gemerkt, wie sehr sich alle gefreut haben“, sagt die Verkäuferin lächelnd.
Ausstellung historischer Backutensilien
Bäckereien sterben aus
Während der Konsum von Backwaren stetig steigt, gibt es immer weniger kleine Familienbetriebe. Im Jahr 2020 gab es in Deutschland 10.491 Meisterbetriebe – 434 weniger als im Vorjahr.
Der Trend geht heute in Richtung zentrale Produktionsstätten mit Verkaufsstellen-Filialnetz. Das bedeutet, ein handwerklicher Bäckermeister geht in den Ruhestand, findet keinen Nachfolger und verkauft an ein Filialnetz.
Während des Lockdowns hatte Bernd Erdelmann eine Idee. Weil er alte Backutensilien seiner Familie in einer Kiste gefunden hatte, dekorierte er eine Wand im Backstübchen damit. Jahrzehntealte Spekulatiusformen, ein Kirschentkerner, eine jahrzehntealte Brotform mit dem Aufdruck „Erdelmann“ zieren nun die Klinkerwand. Einen alten Backofen ersteigerte der Bäckermeister im Internet und baute diesen in die Wand ein, genau wie eine Feuerungsklappe. Auch den Gesellenbrief seines Großvaters von 1918 hing er auf. Dieser zeigt die lange Tradition der Bäckersfamilie. Mit Bernd und Anja Erdelmann wird sie zu Ende gehen, denn ihre Kinder haben beruflich andere Wege eingeschlagen. Die Eheleute sehen das entspannt – und freuen sich auf die noch kommende Zeit in ihrem Backstübchen.