Witten. So geht Selbstversorger: Familie Schultz aus Witten ernährt sich das ganze Jahr über aus dem eigenen Gemüsegarten. Sie ziehen heimische Pflanzen.

Das Ehepaar Schultz aus Witten lebt so, wie Klimaschützer es gern hätten: als Selbstversorger mit Gemüse, ganzjährig aus dem eigenen Garten. Die Pflanzensamen zieht Jörg Schultz dabei selbst. Für ein Forschungsprojekt baut er sogar neue Pflanzen an. Von seinem grünen Daumen profitieren viele Wittener, denn Salat, Tomaten, Blumen oder Kräuter tauschen die Vormholzer gern.

Jeder Winkel des Grundstücks am Kamperbach nutzen Jolanda und Jörg Schultz für den Gemüseanbau. Das in Witten übliche Gartenbild – Rasen mit Terrassenmöbeln und Blumentöpfen, allenfalls ein Hochbeet – muss man bei ihnen lange suchen. Stattdessen gibt es Acker, das große Gewächshaus, Frühbeetkästen, Spaliere für die Stangenbohnen. Überall stehen ausrangierte Badewannen, um Regenwasser aufzufangen. Wellblech und Glas verarbeitet der 54-jährige gelernte Tischler zu Unterständen. Doch, hinterm Haus findet man einen schmalen Streifen Rasen! Aber selbst der ist von üppig wachsenden Beerensträuchern für die Marmeladenherstellung umgeben.

Das Erfolgsrezept: „Zeit, Fleiß, Kompost und Mist“

Jolanda Schultz in ihrem Gewächshaus in Witten, zwischen Paprika-, Tomaten- und Gurkenpflanzen.
Jolanda Schultz in ihrem Gewächshaus in Witten, zwischen Paprika-, Tomaten- und Gurkenpflanzen. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Das Leben als Selbstversorger kennt Jörg Schultz seit Kindheit an. Die Eltern zogen 1972 auf die Anhöhe zwischen Vormholz und Durchholz. Der Boden dort ist felsig und karg. Trotzdem hielt die Familie einen Stall mit Haustieren und beackerte das Land. Schon seine Mutter baute im Nebenerwerb Blumen und Gemüse an, die Waren wurden auf Wochenmärkten verkauft. Die Schwester betreibt heute mit ihrem Mann die Gärtnerei Blümel in Durchholz.

Das Wissen ist also da, was macht aber den Erfolg seines Gemüsegartens aus? „Zeit, Fleiß, Kompost und Mist“, sagt er. Der Nachbar, ein Kuhbauer, schiebt alljährlich mit dem Tieflader eine Ladung Mist über die Hecke. Außerdem haben die Schultzes mehrere Komposte in Betrieb. Da wird umgeschichtet und gesiebt. Jeden Tag, nach der Frühschicht, bevor er überhaupt ins Haus kommt, drehe ihr Mann eine Runde durch den Gemüsegarten, erzählt Jolanda Schultz lachend. Sie spricht mit wunderschönem Akzent – schließlich ist sie gebürtige Niederländerin, stammt aus der Nähe von Rotterdam. Sie verließ für ihre Urlaubsliebe die Nordseeküste und zog an den Wittener Stadtrand. Dafür akzeptiert sie auch, dass ab Januar alle Fensterbänke des Hauses voller Schälchen stehen, in denen Salat, Tomaten, Kartoffeln, Gurken keimen.

Pflanzen und Ernte werden verschenkt oder getauscht

Bei Familie Schultz sind die ersten eigenen Erdbeeren schon reif.
Bei Familie Schultz sind die ersten eigenen Erdbeeren schon reif. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Den Erfolg kann man jetzt schon sehen. Jörg und Jolanda Schultz bauen stets mehr an als sie selbst essen. Die Pflanzen verschenken sie bei Geburtstagen, als Dankeschön an die Nachbarn, an Arbeitskollegen oder als Mitbringsel. Und sie tauschen viel. Eier gegen Wirsing, Balkonblumen für die selbst gestrickten Socken, Tomaten für den Gießdienst. Sie sind Mitglieder im Wittener Tauschring. Wegen der Corona-Pandemie funktioniert dieser zurzeit nur über eine Online-Plattform.

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Die Familie aus Vormholz lebt dabei bewusst nachhaltig. „Wir essen immer das Gemüse der Saison und kaum Fleisch“, sagt Jolanda Schultz. Möhren, Sellerie, Porree, Rote Beete oder Bohnen werden eingeweckt, die Kartoffeln halten sich eingelagert bis Ende Januar. „Salat können wir von April bis Oktober frisch essen.“

Tägliche Gartenarbeit

Anbau für die Bio-Forschung

Der Gemüsegarten der Familie Schultz dient auch der Forschung. Das Ehepaar ist Mitglied im Verein „Mit vereinten Gärten“, dessen Mitglieder an einer Lösung für eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung arbeiten. Ziel ist es zum Beispiel, eine „mehltau-tolerante Salatsorte“ für den Bioanbau zu entwickeln. Der Salat muss dazu an möglichst vielen verschiedenen Standorten angebaut werden. Diese Aufgabe übernehmen Hobbygärtner. 1900 Gärten in den deutsch- und französischsprachigen Ländern Europas machen mit.Viele Saatfirmen züchten unter Laborbedingungen mit Gentechnik oder Methoden wie Bestrahlung. Biologische Sorten werden traditionell, mit Kreuzung und Selektion unter realen Feldbedingungen gezüchtet.Jörg und Jolanda Schultz bekommen jedes Jahr Probesaatgut zugeschickt, das sie anbauen, beobachten und darüber Protokoll führen. Dabei wird die spätmöglichste Aussaat im Jahr gewählt, weil dann Schäden am wahrscheinlichsten sind. Im letzten Jahr bauten Jörg und Jolanda Schultz vier Sorten Salat an. Drei schmeckten und gediehen – eine Sorte nicht.

Jörg Schultz beguckt seine gut gedeihenden Annabelle-Kartoffeln im Frühbeetkasten und ist zufrieden. „Ich baue immer so an, wie es optimal für unsere Gegend ist.“ Sprich: Von Pflanzensorten, die gut gedeihen, nimmt er Samen ab. Paprika- oder Tomatenpflanzen sind darum „Familienerbstücke“.

Der Preis für dieses nachhaltige Leben ist die wenige Freizeit. Länger als acht Tage fährt Familie Schultz nicht in Urlaub. Wer soll in dieser Zeit gießen, ernten, Unkraut jäten, Geiztriebe abknicken? Nach seiner Schicht in der Hammertaler Härterei VTN geht Jörg Schultz jeden Tag für mindestens drei Stunden in den Garten. Für ihn ist es Ausgleich und Fitness – was will man mehr?