Witten. Wieder schließt ein Traditionsbetrieb in Witten. Ralph Gorbahn (54) gibt sein Geschäft auf. Schwere Schicksalsschläge ließen ihm keine Wahl.
Sein Sortiment ist vermutlich ziemlich einzigartig in Witten. Ralph Gorbahn verkauft in seinem Laden an der Ruhrstraße vor allem Messer und Rasierer, aber auch Gaspistolen, Pfefferspray und Luftgewehre. Doch bald ist es damit vorbei. Das Traditionsgeschäft schließt spätestens zum 30. Juni für immer.
Er habe sich die Entscheidung beileibe nicht leicht gemacht, sagt Gorbahn. „Doch wenn ich jetzt nicht den Absprung schaffe, kriege ich das nie mehr hin.“ Er ist zwar erst 54 Jahre alt. Aber nach schweren Schicksalsschlägen müsse er es unbedingt ruhiger angehen lassen. Seine Frau ist gestorben, er selbst hat zwei Herzinfarkte hinter sich. „Die Gesundheit geht vor“, sagt der Einzelhändler. Sechs Tage die Woche im Laden stehen und sonntags den Schreibkram erledigen – das wolle er sich nicht mehr antun, sondern erst mal eine kleine Pause einlegen und dann einen anderen Job finden.
Trotzdem ist zu spüren, wie nah es ihm geht, das Fachgeschäft aufzugeben. Es ist sein Leben – und das seiner Familie. Denn Ralph Gorbahn führt es in vierter Generation. Vor 130 Jahren hat sein Urgroßvater Gustav mit einer Schleiferei begonnen. Es folgten Großvater Gustav, Vater Hermann und schließlich Ralph Gorbahn. „Ich bin im Laden groß geworden und habe mir hier mein Taschengeld aufgebessert.“
Geschäft in der Wittener Ruhrstraße lockt noch mit satten Rabatten
Dass er das alles mal übernimmt, stand für den Wittener außer Frage. „Die Tradition muss doch weitergehen.“ Doch zunächst machte Ralph Gorbahn seine Ausbildung in Hildesheim. Er ist gelernter erschmied – schon damals ein aussterbender Beruf. Die Schleiferei gibt’s aber immer noch. Zumindest sie wird auch die Schließung überdauern.
Doch noch steht der Mittfünfziger Tag für Tag in dem schmalen Laden, der mal die doppelte Fläche besaß, bis die Ware weg ist. Satte Rabatte locken gerade Kunden an. Während des Gesprächs mit der Reporterin muss er immer wieder unterbrechen. Eine Frau fragt nach Nagelfeilen. Ein Mann kauft sechs Frühstücksmesser mit bunten Griffen. Eine Kundin sucht einen Rasierapparat als Geburtstagsgeschenk für den Gatten.
„Das Geschäft hat eigentlich immer funktioniert“, sagt Gorbahn, der dort inzwischen auch einen Paketshop betreibt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als alles in Schutt und Asche lag, sei sein Großvater sogar mit dem Handkarren nach Solingen gezogen, um Ware zu holen. Natürlich bekam der Enkel irgendwann die Folgen des Online-Handels zu spüren. „Von Corona wollen wir gar nicht reden.“ Silvester, wo er sonst den ganzen Laden leer geräumt hat fürs Feuerwerk – einfach ausgefallen.
Nach den Übergriffen an Silvester 2015 in Köln boomte der Laden
Die Zeit nach der Silvesternacht 2015 hat sich ihm besonders eingeprägt. Nach den Übergriffen auf der Kölner Domplatte boomte der Laden. „Da hatte ganz Deutschland Angst“, erinnert sich Ralph Gorbahn. Väter kauften Pfefferspray für ihre Töchter, junge Mädchen deckten sich selbst damit ein. Auch wer mal Opfer eines Einbruchs war, kommt zu ihm, um sich zu wappnen. Scharfe Waffen aber, die gibt es bei ihm nicht mehr, seit das Gesetz vor rund einem Jahr verschärft wurde. „Die Auflagen sind jetzt zu hoch.“
Dank an Stammkunden
Ralph Gorbahn schließt sein Fachgeschäft an der Ruhrstraße 8, sobald er sämtliche Waren verkauft hat, spätestens aber zum 30. Juni. Die Schleiferei wird weiter bestehen, wo, ist noch unklar. Kunden können ihre Messer dann an anderer Stelle abgeben, z.B. bei M.D. Edelmetalle an der Ruhrstraße 25.Der 54-jährige Wittener möchte sich an dieser Stelle bei jenen Kunden bedanken, die ihm über all die Jahre treu waren. „Ich werde Sie sehr vermissen.“ Wie der Leerstand gefüllt wird, stehe noch nicht fest.
Am besten seien immer Rasierer und Messer gelaufen. Letztere gibt es in allen Variationen: für Brot, Gemüse, Schinken. Als kleines Allzweckmesser oder nobles Modell aus Japan, das auch mal 900 Euro kosten kann. Direkt neben dem Regal wacht ein lebensgroßer Porzellanhund übers Geschäft. Der stammt von Gorbahns verstorbener Schwiegermutter.
Im Hinterzimmer liegt gerade das echte Exemplar: Diego („wie Maradona“) ist eine Schäferhund-Neufundländer-Mischung und zehn Jahre alt. In seiner Begleitung wird Ralph Gorbahn nun bald die grünen Oasen in Witten durchstreifen, die er so liebt. Um endlich zur Ruhe zu kommen.