Witten. Auch in Witten infizieren sich Migranten anscheinend häufiger mit Corona. Was die Stadt dazu sagt und wieso es hier keine Impfaktion geben wird.

Es ist ein heißes Eisen, das in den vergangenen Wochen heftig diskutiert wurde: Anscheinend stecken sich Menschen mit Migrationshintergrund überproportional häufig mit dem Coronavirus an. In anderen Städten des Ruhrgebiets haben die Verwaltungen schon reagiert. So hat etwa Herne eine spezielle Kampagne gestartet, die sich an diese Bevölkerungsgruppen richtet. Köln und Hagen impfen bereits schwerpunktmäßig in sozialen Brennpunkten mit hohen Inzidenzen. In Witten wird es ähnliche Aktionen nicht geben – aus mehreren Gründen.

Eines vorweg: Auch wenn es keine genauen Zahlen gibt, scheint Witten keine Ausnahme zu sein. Das Gesundheitsamt des Kreises teilt auf Anfrage zwar mit, dass es bei den Infektionen nicht die Staatsangehörigkeit oder den Migrationshintergrund erfasse. Auch würden die Infektionszahlen bisher nicht unterhalb der Gemeindeebene dargestellt – lediglich für die neun kreisangehörigen Städte.

Sozial schwächere Familien tendenziell gefährdeter

Somit lassen sich keine Aussagen dazu treffen, ob oder in welchen Vierteln Wittens möglicherweise vermehrt Infektionen auftreten. „Brennpunkte in einer Form wie es sie etwa in Köln gibt, haben wir hier ohnehin nicht“, sagt Michael Gonas, Leiter des Amtes für Wohnen und Soziales. Sozial schwächere Familien seien aber tendenziell gefährdeter. „Denn Menschen, die nicht im Home Office arbeiten können, sind natürlich exponierter. Und das sind meist auch die geringer bezahlten Jobs.“

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Bürgermeister Lars König bekräftigt, dass eine vergleichbare Impf-Aktion in Witten „zu kleinteilig“ wäre. Gemeinsam mit den anderen Stadtoberhäuptern und Landrat Olaf Schade hat der 50-Jährige am Mittwochmorgen in einem digitalen Treffen die Möglichkeit einer gezielten Impfaktion besprochen. Man habe sich gemeinsam darauf geeinigt, dass es ein solches Angebot im Kreis nicht geben werde.

Mehr Menschen mit ausländisch klingendem Namen auf den Infiziertenlisten

Dass aber vermehrt Bürger mit Migrationsgeschichte unter den Infizierten sind, bestätigen sowohl der Kreis als auch Bürgermeister König. „Die tägliche Auflistung der aktuell Infizierten lässt darauf schließen, dass mehr Menschen mit Namen, die auf einen Migrationshintergrund schließen lassen, infiziert sind, als dies dem Anteil an der Bevölkerung entspricht“, sagt Krisenstabsleiterin Astrid Hinterthür.

Doch sie betont auch, dass reine Zahlen nur eine geringe Aussagekraft hätten. „Berücksichtigt werden müssen auch Lebens- und Arbeitsumstände“, so Hinterthür. So sieht das auch Mürvet Kesmen vom Integrationsrat der Stadt. „Wenn fünf, sechs oder sieben Menschen in einer 80-Quadratmeter-Wohnung leben, kann man ein infiziertes Familienmitglied schlecht von den anderen isolieren.“ So würde dann etwa ein erkranktes Kind, dass sich in der Schule angesteckt hat, in kurzer Zeit die anderen Verwandten infizieren.

Bürgermeister: Erhöhte Fallzahlen unter jungen Menschen und bestimmten Migrantengruppen

In ihrem Bekanntenkreis würden sich auch alle an die Regeln halten, berichtet die türkisch-stämmige Betreiberin des Corona-Schnelltestzentrums in der Stadtgalerie. Etwa nun im Ramadan auf Besuche bei Freunden und erweiterter Familie verzichten. „Alle sitzen nur zuhause.“

Gerade in der Zeit der sehr hohen Fallzahlen – mit ihrem Höhepunkt in der letzten Woche und einer Inzidenz von rund 260 – habe man in Witten zwei Gruppen ausmachen können, die das Geschehen angetrieben hätten, so Lars König: Menschen unter 20 Jahren und gewisse Migrationsgruppen.

Integrationsstelle der Stadt versucht über Multiplikatoren Menschen anzusprechen

An letztere heranzukommen, sei oft schwierig, heißt es seitens der Integrationsstelle der Stadt. Man versuche über Multiplikatoren – wie etwa die Moscheevereine, aber auch Sozialarbeiter an den Schulen – die Menschen zu erreichen. Doch dies gelinge nicht immer.

Obdachlose sollen bald geimpft werden

Unter den Asylsuchenden, die in den städtischen Unterkünften leben – 208 an der Zahl – habe es nur vereinzelt Infektionen gegeben, sagt Sozialarbeiter Michael Raddatz-Heinrich.Die Menschen dort erlebt er als sehr verständig, auch würden sie sich an die geltenden Schutzbestimmungen halten. „Und ich gehe davon aus, dass die Bereitschaft zur Impfung hoch sein wird.“ Das Sozialamt wartet derzeit auf die Impfung der rund 24 Bewohner der Obdachlosenunterkünfte der Stadt, sie sind in der Prio-Gruppe 2. Doch einen genauen Termin gibt es noch nicht. „Wir hoffen, dass es bald los gehen kann“, sagt Amtsleiter Michael Gonas.

Weiterführende Aktionen oder Versuche wird es auch nicht geben. Denn im Kontext der Pandemie gebe es keine Sprachbarriere, betont Lars König. Jeder, der hier lebe, wisse, was Corona ist, die grundlegenden Regeln zum Infektionsschutz seien auch überall auf der Welt gleich, etwa Maske tragen und Abstand halten. „Wer nach 14 Monaten Pandemie noch nicht eingesehen hat, was nötig ist, den kann man auch nicht mehr überzeugen.“ Daher setzt das Stadtoberhaupt seine Hoffnungen nun vor allem ins Impfen.