Witten. Beim „Fahrradklimatest“ landet Witten abgeschlagen auf Platz 107 von 110. Warum die Ruhrstadt trotz Radkonzept so schlecht abschneidet.
Zum neunten Mal hat der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Radfahrer in Deutschland gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Stadt fühlen. Wirklich gut kamen die Wittener Radwege noch nie an. Aber das Ergebnis des aktuellen „Fahrradklimatests“ ist eine echte Klatsche für die Stadt. Mit dem viertletzten Platz wird Witten noch schlechter als in den Vorjahren bewertet.
Im Herbst 2020 haben 239 Wittener an der Umfrage des ADFC und des Bundesverkehrsministeriums teilgenommen, 130 mehr als bei der letzten Bewertung 2018. Bei den 27 Fragen ging es darum, ob man sich auf dem Rad sicher fühlt, wie gut die Radwege sind und ob die Stadt in Zeiten von Corona das Fahrradfahren besonders fördert.
Deutliche Kritik an der Führung von Radfahrern in den Baustellen in Witten
Nun ist das Städteranking öffentlich einsehbar und in der Größen-Kategorie „50.000 bis 100.000 Einwohner“ muss man lange blättern. Endlich, direkt nach Velbert und noch vor Zwickau, Neuwied und Lüdenscheid kommt Witten! Auf Platz 107 von 110!
Die Ruhrstadt hat die Note 4,56 für ihr Radwegeangebot bekommen. In der Schule wäre es eine 5+. Damit ist sie definitiv versetzungsgefährdet. Schließlich ist Witten mit jedem Fahrradklimatest weiter abgerutscht. 2018 gab es eine 4,4, 2016 noch eine 4,2.
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Um mit dem Guten anzufangen: Im Vergleich zu Städten ähnlicher Größenordnung fällt Witten zumindest in puncto Fahrraddiebstähle positiv auf (relativ wenige), der Ausschilderung für Radfahrer und Konflikte mit Fußgängern (wenige). Besonders negativ bewerten die Teilnehmer die Breite der Radwege, eine mangelnde Falschparkerkontrolle und besonders: die Führung an Baustellen.
Radfahrerin aus Witten fühlt sich auf manchen Straßen unsicher
Platz 107? Helga Zwanzig, die an diesem Mittwoch gerade ihr Rad zum Einkaufen in der Bahnhofstraße anschließt, muss lachen. „Schlechter als in Witten geht es wirklich nicht!“ Die 75-Jährige bemängelt fehlende Abstellmöglichkeiten und schwierige Straßenverhältnisse wie auf der Ruhrstraße. „Und dass Radfahrer in Baustellen überhaupt nicht berücksichtigt werden.“
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Gudrun Bonte kommt gerade aus dem flachen Recklinghausen über Bochum nach Witten geradelt. Sie ist eine erfahrene Radfahrerin und fühlt sich trotzdem auf manchen Straßen in Witten unsicher. „Auf der Ardeystraße, in Höhe des Marien-Hospitals, oder am Crengeldanz“, sagt Bonte. Ein anderer Radfahrer kommentiert das Radwegenetz in Witten so: „Bei den Schlaglöchern bekommt man immer mehr Radfahrer weg von den Straßen.“
239 Wittener Radfahrer stimmten bei dem Fahrradklimatest ab
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Dabei ist das Gegenteil der Fall. „Viele Menschen haben in Zeiten von Corona das Radfahren in der Freizeit für sich entdeckt. Etliche gaben dem Fahrrad auch im Alltag oder für den Weg zur Arbeit erstmalig den Vorzug“, sagt Susanne Rühl, Vorsitzende des ADFC Ennepe-Ruhr. „Leider müssen alle feststellen, dass sich bei der Fahrradinfrastruktur in Witten zum Teil große Lücken auftun und die Wege oftmals alles andere als sicher und komfortabel sind.“ Sie nennt das Ergebnis für Witten kurz: „grottenschlecht“.
Umwelthilfe fordert Pop-up-Radweg in Witten
Während der Corona-Pandemie sind in vielen Städten geschützte Fahrradwege auf Auto-Fahrstreifen entstanden - so genannte Pop-up-Radwege. Die Deutsche Umwelthilfe unterstützt zurzeit Bürger darin, Vorschläge für solche Fahrradstraßen oder eine Geschwindigkeitsreduktion auf Tempo 30 einzureichen.
Nach Prüfung der Vorschläge hat die DUH an 244 Städte und Kommunen formale Anträge gestellt. Ein solcher Bürgerantrag sei auch bei der Wittener Stadtverwaltung eingereicht worden, so die Umwelthilfe.
Wie aber erklärt es sich, dass die Radinfrastruktur noch schlechter als in den Vorjahren bewertet wird? Schließlich gibt es mit dem vom Rat 2019 beschlossenen Radverkehrskonzept inzwischen Pläne für die Zukunft. „Ja, wir wissen, dass die Stadtverwaltung versucht, Dinge anzuschieben“, sagt Rühl. „Aber die Radelgemeinschaft sieht nicht, dass etwas dabei herauskommt.“
Dass selbst seit Jahren bekannte gefährliche Stellen nicht entschärft werden, nennt die Wittenerin und ADFC-Vorsitzende „fahrlässig“ - etwa die Ruhrstraße, zwischen Gasstraße und Ruhrdeich. „Es passiert einfach nichts, um die Sicherheit für Fahrradfahrer zu verbessern. Ein Konzept und auch die finanziellen Mittel sind bekanntermaßen vorhanden. Was fehlt, ist die reale Umsetzung“, sagt Rühl. Die Daten der Umfrage geben ihr Recht. Fürs Sicherheitsempfinden vergaben alle Teilnehmer eine glatte 5.
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