Witten. Die gebürtige Hagenerin Grete Fastenrath hat vieles in ihrem Leben erreicht - und an ihrem 107. Geburtstag gar eine Covid-Infektion überstanden.
Man kann es nicht anders sagen: Corona vermiest Grete Fastenrath ordentlich den Lebensabend. Bis zum Mai 2020 lebte sie noch in einer eigenen Wohnung. Erst nach den Kontaktbeschränkungen im Frühjahr und einem Unfall, bei dem sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben etwas gebrochen hatte, entschied sie sich, in ein Seniorenheim zu ziehen. Vom großen Corona-Ausbruch in den Wittener Feierabendhäusern der Diakonie wurde auch sie nicht verschont. Ihren 107. Geburtstag musste sie darum auf der Isolierstation feiern.
Seit Montag (25.1.) aber ist klar: Grete Fastenrath ist nach vier Wochen wieder virusfrei und darf wieder besucht werden. Ihre Großnichte Brigitte Ruttowski ist darüber mehr als erleichtert. Die 68-Jährige und ihre Schwester kümmern sich als nächste Verwandte um "Tante Grete" und konnten sie zuletzt Mitte Dezember persönlich sehen. In der Zwischenzeit rollte die Seniorin mit dem Rollstuhl ans Fenster und telefonierte mit den Verwandten, die zeitgleich unten vor dem Gebäude standen und winkten.
Corona-Infektion verlief nahezu symptomfrei
"Tante Grete hat Corona. Das konnten wir alle nicht fassen", sagt Brigitte Ruttkowski. Allerdings verlief die Krankheit nahezu symptomfrei, bis auf ein paar Knochenschmerzen. "Hätte das Heim nicht so viel getestet, wäre sie der perfekte Superspreader gewesen", meint die Großnichte. Dass die hochbetagte Dame daran stirbt, hat sich nicht bewahrheitet. "Dazu ist sie viel zu ungeduldig", meint Brigitte Ruttkowski. Gemeinsam haben sie sich eh überlegt: "Tante Grete muss hier unten noch lernen, geduldig zu werden."
Diese Ungeduld, die Neugier und Bewegungsdrang sind Gründe, warum Grete Fastenrath für ihr hohes Alter noch so fit ist. Natürlich, auch der Vater (91) oder die Schwester (96) seien alt geworden. Erstaunlich aber ist, dass die 107-Jährige ein für ihre Generation ungewöhnlich selbstbestimmtes Leben geführt hat. 1914 wurde sie als in Hagen-Boele als dritte Tochter einer christlichen Familie geboren. Die ältere Schwester wird Diakonisse, die mittlere heiratet, bekommt zwei Kinder - und gab für diese Ehe all ihre Freiheiten auf. Die Jüngste hat dieses Beispiel vor Augen, als sie 1928 in eine kaufmännische Lehre ging.
Chefsekretärin beim Stromversorger E-Mark
In den nächsten Jahren wechselt sie oft die Arbeitsstelle und arbeitet als Sekretärin in unterschiedlichsten Branchen - bei einem Zeitungsverlag oder in der Ölfabrik von Carl Bechem in Hagen, wo sie bereits die Korrespondenz des Geschäftsführers erledigen darf. Im Juni 1938 wechselt sie zum Stromversorger Elektromark, der heute Mark-E heißt. Die wachsende Stromwirtschaft bietet große Chancen. Grete Fastenrath wird Vorzimmerdame des Technischen Direktors, bis zu ihrer Pensionierung. Sie arbeitete in dem Gebäude, in dem heute das Hagener Folkwangmuseum beheimatet ist.
Schon 1952 bezog sie als ledige Frau eine eigene Wohnung. Ein Mann, der womöglich das Arbeiten verbietet, passte nicht in diese Lebenswelt. Grete Fastenrath fuhr, obwohl alleinstehend, regelmäßig in den Urlaub, etwa zum Skifahren oder in Kaufmannserholungsheime. Nur das Schwimmen hat sie nie gelernt.
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Bei Brigitte Ruttkowski klingt viel Bewunderung für die Tante mit. "Sie hatte eine schnelle Auffassungsgabe und war sehr intelligent", sagt sie. Als "klar strukturiert, diszipliniert und sortiert" beschreibt sie ihre Tante. "Und sie war immer für uns Kinder da."
Wandern als liebste Freizeitbeschäftigung
Nach 70 Jahren in Hagen entschied Grete Fastenrath, dass es Zeit für einen neuen Lebensabschnitt sei. Dieser spielt im Lipper Land, wo sie im Kurort Bad Meinberg 20 Jahre lang lebte und ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung, dem Wandern, nachging. Schon hochbetagt zog sie in die Nähe ihrer beiden Großnichten, in eine seniorengerechte Wohnung in Lütgendortmund.
In dem Haus mit angegliedertem Pflegeservice hätte sie weiterwohnen können - wäre nicht Corona gekommen und der Umzug in die Feierabendhäuser Schwesternpark in Witten. Dort liest Grete Fastenrath noch heute täglich die Zeitung und auch ihre Geburtstagspost. Schließlich ist die Familie groß, neben den Großnichten und Großneffen gibt es das Ganze noch in der Urgroß- und Ururgroßvariante. Aus ihrer Wohnung, die im Mai unter Coronabedingungen aufgelöst wurde, nahm sie ihren Schreibtisch mit, der sie ihr Leben lang begleitet hat. "Sie war so schrift- und wortgewandt und hat tolle Briefe oder auch Gedichte geschrieben", sagt Brigitte Ruttkowski. Und schmunzelnd erinnert sie sich: Zur Aufgabe der Chefsekretärin gehörte es auch, für die Kollegen Liebesbriefe zu schreiben.
>> 23 Wittener sind 100 Jahre oder älter
Laut Statistikstelle der Stadt Witten ist Grete Fastenrath die einzige 107-Jährige und damit ältester Mensch in Witten. 23 Personen sind aber bereits im Methusalem-Alter. Genau 100 Jahre alt waren am Stichtag 31.12.2020 vier Männer und fünf Frauen. Außerdem leben in Witten 14 Frauen, die zwischen 101 und 106 Jahren alt waren. Es gibt keinen einzigen Mann, der älter als 100 Jahre ist.
Der älteste Mensch in Nordrhein-Westfalen ist mit 113 Jahren Hazno Dülek aus Ahlen. Sie folgte erst mit 88 Jahren ihren Verwandten aus der Türkei als letztes Familienmitglied nach Deutschland.
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