Witten. Der ev. Kirchenkreis Hattingen-Witten muss sparen. Die Pfarrer müssen zum Teil sogar Hausmeister-Tätigkeiten übernehmen, wenn Küster fehlen.


Viele Kirchenaustritte 2019, hohe Einnahmeverluste im Coronajahr 2020: Der Kirchenkreis Hattingen-Witten muss sich auf seiner Herbstsynode am kommenden Freitag und Samstag (27./28.11.) auch mit seinen Finanzen befassen.
Einen Sparkurs fährt er – gezwungenermaßen – schon seit Jahren.

Rund 11.330 Menschen haben im Kirchenkreis Hattingen-Witten der evangelischen Kirche in den vergangenen zehn Jahren den Rücken gekehrt. Lebten im Kirchenkreis 2010 noch über 71.000 evangelische Christen sind es heute noch rund 59.750. Nach Angaben der Stadt sind derzeit 32.900 Wittener evangelischen Glaubens. 2019 traten im Kirchenkreis über 650 Menschen aus der evangelischen Kirche aus, nur 82 ein.

Kirchenkreis Hattingen-Witten muss ein Auge auf seine Ausgaben haben


Kein lokales Problem, sondern ein landesweites. 
In ganz NRW verließen laut NRW-Justizministerium 2019 über 120.000 Menschen die Kirchen
– wobei die Zahl nicht nach Konfessionen aufgeschlüsselt wurde. Die vielen Austritte 2019 führt Julia Holtz, Superintendentin des Ev. Kirchenkreises Hattingen-Witten, zum einen auf die kirchlichen Missbrauchsskandale in ganz Deutschland zurück. Außerdem habe es die meisten Austritte von Menschen im Alter zwischen 25 und 30 Jahren gegeben. „In dieser Zeit verdienen viele ihr erstes Geld, haben noch ein kleines Gehalt.“ Da wolle man die Kirchensteuer sparen. Für diejenigen, die keine innere Bindung zur Kirche hätten, sei dies ein leichter Schritt.

Pfarrerin Mareike Gintzel (vorne) wurde am 9. August 2020 in der Johanniskirche in Witten in ihr Amt eingeführt. Mit ihr freute  sich Superintendentin Julia Holtz.
Pfarrerin Mareike Gintzel (vorne) wurde am 9. August 2020 in der Johanniskirche in Witten in ihr Amt eingeführt. Mit ihr freute sich Superintendentin Julia Holtz. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer



Im wirtschaftlich schwierigen Coronajahr 2020 rechnet Holtz für ihren Kirchenkreis mit Einnahmeverlusten von rund 294.000 Euro. Dass der Kirchenkreis ein Auge auf seine Ausgaben haben muss, lässt sich an der Zahl der Pfarrerinnen und Pfarrer ablesen. Vor 25 Jahren ist Julia Holtz als Pfarrerin zur Johannis-Kirchengemeinde nach Witten gekommen. „Damals hatte ich dort noch drei Kollegen. Das waren aus heutiger Sicht luxuriöse Zustände“, sagt sie. Heute habe die Gemeinde 1,75 Pfarrstellen.

Vor 25 Jahren hätte es auch an der Annener Friedenskirche und der Erlöserkirche noch je zwei Pfarrstellen gegeben. „Heute sind es insgesamt zwei.“ Frei werdende Stellen würden in Witten in vollem Umfang nur noch nachbesetzt, „wenn sichergestellt ist, dass in den kommenden fünf Jahren mindestens 2900 Gemeindemitglieder zu dieser Pfarrstelle gehören“, so Holtz.

Viele evangelische Gemeinden in Witten haben hauptamtliche Küster abgeschafft



In ganz Witten arbeiten derzeit noch 14 Pfarrerinnen und Pfarrer. Der Druck auf die Kollegen wachse, die sich heute mit dem Thema „Zeitökonomie“ auseinandersetzen müssten, betont die Superintendentin. Dies habe wiederum Folgen für deren Arbeitsalltag. So seien zum Beispiel persönliche Besuche bei Menschen, die 75. oder 80. Jahre alt werden, oft nicht mehr möglich. Der Zeitmangel führe auch zu Enttäuschungen bei Gemeindemitgliedern.


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Hinzu komme, dass viele evangelische Gemeinden in Witten hauptamtliche Küster abgeschafft hätten. „Diese Arbeit bleibt leider oft auch an den Pfarrern hängen.“ So müssten sich immer mehr Kollegen auch mit Hausmeister-Tätigkeiten beschäftigen. In vielen Gemeinden gebe es zwar sehr engagierte Ehrenamtliche, die zahlreiche Aufgaben übernehmen, „aber wenn es eng wird, besorgen die Pfarrer selbst die Blumen für den Altar oder stellen Stühle für Veranstaltungen auf – das kostet sie wertvolle Arbeitszeit“.

Superintendentin: „Es sterben eben mehr Menschen als geboren werden“


Julia Holtz ist der Ansicht, dass der Mitgliederschwund der Kirchen weiter anhalten wird. Sie verweist dabei auf
eine Studie des „Forschungszentrums Generationenverträge“ an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg.
Demnach werden die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland bis 2060 noch einmal die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren. 50 Prozent dieser Mitgliederverluste seien dem demografischen Wandel geschuldet. „Es sterben eben mehr Menschen als geboren werden“, sagt die gebürtige Wilhelmshavenerin.

Bei den weiteren Menschen, die der Kirche laut Studie in den nächsten 40 Jahren den Rücken kehren, sei die Kirche gefordert. „Es ist unser Auftrag, die gute Botschaft zu den Menschen zu bringen, wir haben im besten Sinne des Wortes eine Mission“, so die Theologin. Dabei müsse man über neue Wege nachdenken, über die Menschen erreicht werden könnten. Julia Holtz: „Der 10-Uhr-Gottesdienst am Sonntagmorgen sollte nicht mehr der einzige Termin sein, an dem Menschen Spiritualität erleben können.“