Witten. Weil er schwul war, kam Gustav Niessen aus Witten ins KZ. Nach dem Krieg erhielt er nie eine Entschädigung. Ein Vortrag über die Vergangenheit.
In der Nazi-Zeit litten homosexuelle Männer unter Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung. Zu den Opfern gehört auch der Wittener Gustav Niessen, der in der Kesselstraße gelebt hat. Historiker Ralph Klein hat zu der Familiengeschichte des schwulen Mannes geforscht und stellt fest: „Auch nach dem Ende des Dritten Reiches musste er Anfeindungen erleiden.“
Klein stellte auf Einladung des Quartiersmanagements Heven-Ost seine Ergebnisse vor. Bei dem Vortrag war auch Musiker Wolf Codera dabei. „Damals sind furchtbare Dinge passiert. Das dürfen wir niemals vergessen“, so Codera. Deshalb wolle er die Aktion unterstützen – am Anfang und am Ende der Veranstaltung spielte er für die Gäste auf seinem Saxophon.
Historiker: Der Mann aus Witten wurde damals oft beschimpft
In der Gegend rund um den Ossietzkyplatz hatte es sich damals in der Nazizeit herumgesprochen, dass Gustav Niessen homosexuell ist. „Er wurde oft beschimpft“, erzählt Ralph Klein. Am 5. März 1939 wurde Niessen schließlich verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Den Laden, den er betrieb, musste seine Mutter übernehmen. Nach der zweijährigen Strafe wurde Niessen in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. „Da wird jemand verurteilt, weil er schwul ist, sitzt seine Strafe ab und wird dann auch noch in ein Todeslager gesteckt“, sagt Historiker Klein.
Danach folgten viele Verlegungen in andere Vernichtungslager: im März 1942 nach Groß-Rosen, im Februar 1945 in das Konzentrationslager Flossenbürg, zwei Monate später nach Dachau. Auf dem Weg nach Tirol gelang dem Wittener am 2. Mai dann auf einem sogenannten Todesmarsch endlich die Flucht. „Dabei starben viele Menschen“, sagt Ralph Klein. Rolf Kappel vom Quartiersmanagement Heven-Ost, der die Veranstaltung organisierte: „Das ist der Grund, warum wir uns damit beschäftigen: Menschen wurde fürchterliches Unrecht angetan.“
Trotz seiner sexuellen Neigung heiratete er Margarete Wiesmann
Nationalsozialisten bestahlen viele Wittener Juden
In der Zeit des Nationalsozialmus wurde vielen Juden ihr Besitz gestohlen. Das Textil Kaufhaus Alsberg und Blank an der Bahnhofstraße wurde beispielsweise an das Siegener Unternehmen Otto Neumann und Dr. Cropp verkauft.
Die Villa Eichengrün in der Husemannstraße nutzte die NS-Frauenschaft für ihre Zwecke. Auch eine Synagoge stand damals in Brand. Die Feuerwehr rückte an, löschte allerdings nur die umliegenden Häuser. Im sogenannten Tränenkeller des Schillerlyzeums (heute Schiller-Gymnasium) wurden viele Menschen misshandelt.
Danach kehrte Gustav Niessen wieder nach Witten zurück. Er stellte im August 1945 einen Gewerbeantrag. Dieser wurde jedoch bis 1948 nicht bewilligt – deswegen konnte er seinen Laden nicht wieder aufmachen. „Die Behörden taten das, weil er schwul war“, so Klein. Trotz seiner sexuellen Neigung heiratete Gustav Niessen Margarete Wiesmann. Diese stellte dann erneut einen Gewerbeantrag, den die Behörden bewilligten.
Doch die Ehe hielt nicht lange. Wiesmann erwischte ihren Mann in einem „Männerclub“ und ließ sich scheiden. Seine Mutter Nelli Niessen übernahm danach den Laden – obwohl die Behörden Vorurteile hatten, weil sie zur NS-Zeit Lebensmittel an Juden verkauft hatte. Ralph Klein: „Die Geschädigten erhielten keine Wiedergutmachung. Stattdessen machte man ihnen das Leben weiterhin schwer. Das ist wirklich eine Schande.“
Auch in der Nachkriegszeit blieben die Vorurteile
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Eine Zeitzeugin, die Gustav Niessen persönlich kannte, schildert ihre eigene Erfahrung. „Meine Eltern meinten zu mir: Halt dich von ihm fern“, sagt Irene Weber. Sie war zu der Zeit acht Jahre alt und und lebte in den Mannesmannhäusern. In der Nachkriegszeit herrschten noch lange Vorurteile und Ablehnung gegenüber Schwulen. Ralph Klein: „Solche Ungerechtigkeiten darf es niemals wieder geben.“