Gelsenkirchen.
Beim Projekt „Wellenfang“ im Rahmen der 2010-Reihe „Mapping the Region“ lässt Künstlerin Christina Kubisch lässt Menschen mittels Spezialkopfhörern das hören, was dem Gehör sonst entgeht: elektromagnetische Wellen.
Vor ein paar Jahren habe ich einen Urlaub im ländlichen Teil von Rhodos verbracht: mitten im Orangenhain, direkt am Bach und – in unmittelbarer Nachbarschaft einer riesigen Froschkolonie. Als ich im Kunstmuseum die Stufen zur kinetischen Abteilung hinabsteige, fühle ich mich nach Archangelos zurückversetzt.
Aus dem Kopfhörer, den mir Christina Kubisch gegeben hat, dröhnt amphibisches Dauergequake entgegen. Die Klangquelle suche ich vergebens. Weiter hinten in der Kinetik-Schau, vor Hans-Martin Ihmes Objekt „Prisma II“, sehe ich wenigstens, warum ich etwas höre. Mit jedem Lichtlein, das aufleuchtet, ein anderes Summen und Schnurren, mit jeder Lichterreihe ein moduliertes Brummen und Knurren, und als alle Lampen an gehen, verdichten sich die Geräusche zu einem furiosen Disco-Rhythmus, der unweigerlich ins Tanzbein geht.
Elektrischer Spaziergang
Ich befinde mich auf einem „electrical walk“, betreibe „Wellenfang“, erkunde die Klanglandschaft Ruhrgebiet.
„Wellenfang“ heißt auch das Ausstellungsprojekt, bei dem das Kunstmuseum Gelsenkirchen im Rahmen der 2010-Reihe „Mapping the Region“ Kooperationspartner des Skulpturenmuseums Glaskasten in Marl ist. Für die Marler ist die international renommierte Klang- und Licht-Installationskünstlerin Christina Kubisch – die vor ihrer Hinwendung zur Kunst in Mailand Komposition und Elektronische Musik studierte – auf die Suche nach „Soundscapes“, nach elektromagnetischen Klanglandschaften gegangen. Speziallautsprecher machen wahrnehmbar, was das menschlichen Gehör sonst nicht wahrnimmt: hoch- und niederfrequente Schwingungen, die von jedem elektromagnetischen Feld ausgehen. Durch Hightec hörbar ge-macht, vermitteln diese Felder dem Kopfhörer-Träger, der nicht länger Kunst-Konsument ist, sondern Mit-Schöpfer einer privaten Kunst-Aktion im öffentlichen Raum, ein ganz neues (akustisches) Bild der gewohnten Umgebung.
New York, Tkio - Gelsenkirchen
Christina Kubisch hat auf diese Weise schon Städte in aller Welt hörbar gemacht, Tokio etwa, New York, Chicago oder Mexico City.
Entsprechend sind in Gelsenkirchen diese Erfahrungen nicht auf das Museum beschränkt. Die Künstlerin hat (als Vorschlag, dem man nicht folgen muss) eine „Parcours-Partitur“ aus 14 „Klangorten“ zusammengestellt – vom Straßenbahnmasten bis zum Parkscheinautomaten. Als ich mich mit Christina Kubisch, Leane Schäfer und dem Marler Museumschef Karl-Ernst Brosthaus auf den Weg mache, wird es richtig abenteuerlich. Die Straßenbahn: ein singender Bordunton. Die Sicherheitsschranke einer Parfümerie: ein grauenhaftes Geziepe. Dann der Höhepunkt: Saturn. „Wir leben in einer immer dichter werdenden Datenwolke“, sagt Kubisch. Ich muss an die Vulkanasche-Wolke denken. Die konnte man auch nicht sehen.
Auf „Wellenfang“ kann man im Kunstmuseum bis zu. 6. Juni dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr gehen.