Witten. Wittener Ärzte sehen durch Reiserückkehrer, Erzieher und Lehrer eine Welle an Corona-Tests auf sich zukommen. Darauf seien sie nicht vorbereitet.

Reiserückkehrer, Kita-Erzieherinnen sowie Lehrerinnen und Lehrer – sie alle können sich auch in Witten kostenlos auf eine mögliche Corona-Infektion testen lassen. Zuständig für die Abstriche sind die niedergelassenen Hausärzte. Und die sehen der bevorstehenden Test-Flut mit großer Besorgnis entgegen. „Wie sollen wir das neben dem normalen Betrieb denn gewährleisten?“, fragt Dr. Frank Koch.

Die Ärzte seien von den neuen Entwicklungen „völlig überrascht“ worden und würden nun unvorbereitet dastehen, beklagt Koch. So können sich offiziell seit Montag (3.8.) Kita-Erzieherinnen und Tagesmütter oder -väter freiwillig alle 14 Tage auf das Virus testen lassen. In der nächsten Woche startet dieses Angebot auch für alle Lehrer und andere Beschäftigte an Schulen. „Wenn die alle hier in den Praxen erscheinen, sehe ich ein großes logistisches Problem“, so der Hausarzt.

10.000 Berechtigte aus Kitas und Schulen des EN-Kreises

Für den gesamten EN-Kreis rechnet die Ärztliche Qualitätsgemeinschaft Witten (ÄQW) mit rund 10.000 Berechtigten aus Kitas und Schulen. Hinzu kommen die Reiserückkehrer, die sich freiwillig oder weil ihre Arbeitgeber ein negatives Ergebnis einfordern, testen lassen wollen. Doch um Abstriche vorzunehmen brauche es auch gewisse Voraussetzungen in den Praxen, etwa separat nutzbare Räume, sagt Koch. „Denn wir müssen ja bei jedem, den wir testen, davon ausgehen, dass er potenziell infiziert sein könnte.“

Dr. Frank Koch, Hausarzt aus Witten, sieht die Praxen vor organisatorischen Problemen, weil sie die zahlreichen anfallenden Corona-Tests durchführen sollen.
Dr. Frank Koch, Hausarzt aus Witten, sieht die Praxen vor organisatorischen Problemen, weil sie die zahlreichen anfallenden Corona-Tests durchführen sollen. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Das betont auch Dr. Arne Meinshausen, einer der Geschäftsführer der ÄQW, in der rund 90 Prozent aller niedergelassenen Ärzte der Stadt vertreten sind: „Wir müssen unbedingt die Abstrich-Patienten strikt von den anderen trennen.“ Denn die Wartezimmer seien derzeit wieder gut gefüllt. Eine Praxis könnte sonst schnell zum Corona-Hotspot werden – mögliche Schließung inklusive. „Die jetzige Vorgehensweise ist eine Risikoverlagerung in die Praxen“, klagt daher auch Frank Koch.

Arzt: Zweite Welle hat bereits begonnen

Hinzu kommt: Derzeit laufe bereits wieder eine erste saisontypische Infektwelle an, so Meinshausen. Ins Rathaus der Medizin in Herbede, wo er praktiziert, kämen derzeit etwa viele Patienten mit einer Halsentzündung. „Und wir müssen eigentlich alle Patienten mit Symptomen abstreichen.“ Umfangreich zu testen sei nun besonders wichtig, weil eine „schleichende zweite Welle“ bereits begonnen habe. Zusätzlich seien allein am Montagmorgen schon zahlreiche Anfragen von Reiserückkehrern angefallen.

Mindestens 1200 Erzieherinnen und Lehrer

Das Gesundheitsamt des EN-Kreises ist bei Tests von Reiserückkehrern nicht mit an Bord. Heimkehrer aus Risikogebieten sind aber grundsätzlich verpflichtet, sich in 14-tägige Quarantäne zu begeben und sich beim Gesundheitsamt zu melden. Dafür stellt die Kreisverwaltung ein Online-Formular zur Verfügung (www.en-kreis.de). Bei einem negativen Testergebnis kann die Behörde die Quarantäne nach Prüfung vorzeitig aufheben.

Beschäftigte aus Kitas und Schulen können sich zunächst bis zu den Herbstferien alle zwei Wochen freiwillig auf das Coronavirus testen lassen. Die Kosten übernimmt das Land. Um die Testkapazitäten nicht zu überfordern, ist ein wöchentlich abwechselnder Turnus der Beschäftigten von Kindertagesbetreuung und Schulen vorgesehen.

In Witten betrifft das die Mitarbeiter von 57 Kitas und 27 Schulen, also rund 500 Erzieherinnen und etwa 700 Lehrerinnen und Lehrer. Hinzu kommen die Beschäftigten aus der OGS und weiteres sozialpädagogisches und nichtpädagogisches Personal.

Ausgehandelt hat die neuen Regeln für die Corona-Tests das Gesundheitsministerium des Landes zusammen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen. „Ob wir das leisten möchten und können, sind wir vorab aber nicht gefragt worden“, kritisieren die beiden Wittener Hausärzte. „Das ist ein leichtfertiges Angebot, das jetzt auf uns abgewälzt wird“, sagt Koch. Und er gibt zu bedenken: Mehr als die Hälfte der Wittener Kollegen sei schließlich selbst schon älter und gehöre zur Risikogruppe.

ÄQW stellt Liste mit Arztpraxen zusammen, die Abstriche vornehmen können

Bei der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL) verweist man darauf, dass der Erlass zu Reiserückkehrern aus Nicht-Risikogebieten erst am Samstag in Kraft getreten sei. „Da hatten wir auch sehr wenig Vorlaufzeit“, so eine Sprecherin. Die verschiedenen Zielgruppen alle in den Arztpraxen abzudecken, werde sicherlich eine Herausforderung, da die zu erwartende Nachfrage hoch sei, räumt die KVWL ein. Man wolle die Entwicklung im Auge behalten und bei Bedarf nachjustieren. Bislang gebe es aber keine konkreten Pläne, ein Diagnose- oder Abstrichzentrum im EN-Kreis ins Leben zu rufen – und damit die Hausärzte zu entlasten.

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Die ÄQW fragt derzeit alle Hausarztpraxen im EN-Kreis ab, ob diese feste Abstrichzeiten außerhalb des normalen Praxisbetriebes anbieten können. Die Übersichts-Liste soll dann an alle Hausärzte, aber auch an Schulen und Kitas gehen, damit diese wissen, an wen sich ihr Personal wenden kann.

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