Witten. Die AOK startet im Herbst einen Modellversuch und lässt Apotheker gegen Grippe impfen. Experten in Witten sind sich nicht einig, ob das gut ist.

Während Pharma-Firmen fieberhaft nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus suchen, starten auch schon Vorbereitungen für die Impfung gegen Grippe. Erstmals könnte es diese nicht nur beim Arzt, sondern auch beim Apotheker geben. So sieht es ein Modellversuch der AOK Rheinland/Hamburg und des Apothekerverbands Nordrhein vor. Dr. Arne Meinshausen aus Witten ist strikt dagegen: „Ich werde meinen Patienten auch ganz konkret davon abraten.“

Meinshausen, der Mitglied der Geschäftsführung der Ärztlichen Qualitätsgemeinschaft Witten (ÄQW) ist, erklärt: „Apotheken sind für den Notfall nicht gewappnet, der bei der Verabreichung solch einer Spritze auftreten kann.“ Komme es etwa – im schlimmsten Fall – zu Herzproblemen, dann gebe es in der Apotheke keine lebensrettenden medizinischen Geräte wie beispielsweise einen Defibrillator. „Die Apotheker tun sich keinen Gefallen damit, die Grippeimpfung zu übernehmen. Das wäre total gefährlich.“

Apothekerin in Witten: „Wir sind schließlich keine Mediziner“

Helga Böllinghaus und ihr Team der Adler-Apotheke sind dagegen, dass Patienten sich in Apotheken gegen Grippe impfen lassen.
Helga Böllinghaus und ihr Team der Adler-Apotheke sind dagegen, dass Patienten sich in Apotheken gegen Grippe impfen lassen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald


Helga Böllinghaus, Inhaberin der Adler-Apotheke an der Bahnhofstraße, und ihr Team sehen das genauso. „Das geht gar nicht. Wir sind schließlich keine Mediziner und bei einer Impfung handelt es sich um einen medizinischen Eingriff.“ Dazu müsse man besonders ausgerüstet sein.

Zwiegespalten ist Michael Teubner, dem die Einhorn- und die Elefanten-Apotheke in der City gehören. „Das müssten wir erstmal mit den Ärzten besprechen. Wir wollen denen ja keine Patienten wegnehmen.“ Allerdings befürchtet er, dass die Lage durchaus problematisch werden könne, wenn zusätzlich zu Corona auch noch gegen Influenza geimpft werden müsse. Dann könne es sein, dass die Ärzte das alleine gar nicht schaffen.“

Mediziner in Witten rechnet mit „Riesenflut von Impfungen“ Impfungen

Da allerdings kann Arne Meinshausen beruhigen: „Wir haben die Kapazitäten – und wenn der freie Mittwochnachmittag dafür draufgeht.“ Er ahnt: „Da kommt eine Riesenflut von Impfungen auf uns zu.“ Die Nachfrage von Patienten nach einer Grippeimpfung sei jetzt schon gewaltig.

Der Allgemeinmediziner, der im Herbeder Rathaus der Medizin praktiziert, rechnet mit doppelt so vielen Impfungen gegen Influenza. Denn die Symptome seien bei einer Grippe denen bei einer Infizierung mit dem Coronavirus sehr ähnlich. „Ist dann jemand gegen Grippe geimpft, kann man das ausschließen und sofort auf Corona testen.“

Patienten in Witten sind geteilter Meinung

Monika Frickmann ist noch etwas unsicher, wo sie sich lieber gegen Grippe impfen lassen würde.
Monika Frickmann ist noch etwas unsicher, wo sie sich lieber gegen Grippe impfen lassen würde. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Dorothee Werner, Inhaberin der Engel-, Milan- und Adler-Apotheke (in Annen) glaubt, sie und ihre Kollegen seien im Falle eines Falles gewappnet. „Natürlich sind gewisse Vorbereitungen nötig“, räumt die Kreis-Apotheker-Sprecherin ein. Vorgesehen sei, dass Apotheker eine eintägige Schulung absolvieren. Natürlich könne die Impfung nicht im Verkaufsraum stattfinden. Aber: „Jede Apotheke hat ein Beratungszimmer. Das ist Pflicht.“

Er lässt sich beim Arzt gegen Grippe  impfen, sie würde auch in die Apotheke gehen: Rainer Zott und Birgit Gottesbüren
Er lässt sich beim Arzt gegen Grippe impfen, sie würde auch in die Apotheke gehen: Rainer Zott und Birgit Gottesbüren © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Die Patienten sind ebenfalls geteilter Meinung. „Wenn es erprobt ist, dass Apotheker impfen können, dann würde ich das dort machen lassen“, sagt Monika Frickmann (63). Einmal habe sie sich bisher gegen Grippe impfen lassen. Auch Birgit Gottesbüren (57) würde dazu die Apotheke ihres Vertrauens aufsuchen – „weil es vermutlich schneller geht als beim Arzt“. Ihr Partner Rainer Zott (65) dagegen bevorzugt die Impfung beim Arzt – seit 15 Jahren schon lässt er sich gegen Grippe impfen.

Grippeimpfungen starten Mitte September

Lange war Apotheken das Impfen verboten. Im jüngst verabschiedeten Masernschutzgesetz wird der Weg dafür frei gemacht. Einen Vorreiter gibt es schon: Ab Herbst dürfen Apotheker im Gebiet Nordrhein AOK-Versicherte gegen Influenza impfen. Weitere sollen folgen. Das Modellprojekt läuft über einen Zeitraum von drei Jahren.

Privatpatienten holen sich ihr Mittel für die Grippeschutzimpfung bisher in der Apotheke ab, für gesetzlich Versicherte bestellt es der Arzt dort. Für die Grippeimpfung eines Kassenpatienten erhält der Arzt knapp acht Euro, für einen Privatpatienten rund elf Euro. Ab Mitte September kann man sich gegen Influenza impfen lassen.

Das Gesundheitsamt des EN-Kreises wollte noch keine Einschätzung abgeben. Doch Mediziner Arne Meinshausen betont erneut: „Wir werden die Impfung beim Apotheker nicht tolerieren.“

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