Witten. Der Stadtrat Witten will am Dienstag (23.6.) tagen - aber wo? Die 72 Ratsmitglieder passen wegen des Abstandsgebots nicht in den Ratssaal.

Wo soll das Wittener Stadtparlament demnächst Entscheidungen fällen? Offenbar ist es gar nicht so leicht, die nächste Ratssitzung am 23. Juni für 72 Lokalpolitiker plus Zuschauer in Zeiten der Abstandsgebote zu organisieren. Tagungsort sollte eigentlich die Turnhalle der Holzkamp-Gesamtschule werden. Doch einige ältere Ratsmitglieder möchten sich nicht in die schlecht gelüftete Sporthalle setzen. Nun verzichten die Fraktionen zu gleichen Teilen auf Mitglieder, um das Stimmenverhältnis zu wahren – und in den Ratssaal zu passen.

Die Corona-Pandemie hat den Politikbetrieb in Witten durcheinandergewirbelt. Fast zwei Monate gab es keine Sitzungen. Danach hat die Stadtspitze mit Zustimmung der Ratsmitglieder dem Haupt- und Finanzausschuss (HFA) Kompetenzen übertragen. Dieser besteht nur aus 15 Ratsmitgliedern, mit Masken, Schutzscheiben und Sitzordnung ließ sich so unter Corona-Auflagen tagen. Möglich war dies nach einem ministeriellen Erlass zu einer „epidemischen Lage“. Am 14. Juni hat die NRW-Regierung aber die „Lage“ für beendet erklärt - es gilt die alte Gemeindeordnung, nach der der Rat mit seinen 72 Mitgliedern entscheiden muss. Mit Abstandsgebot passen diese aber nicht in den Sitzungssaal im Rathaus.

Holzkamp-Turnhalle hat keine Belüftung - außer der Tür

In Witten hatte man gehofft, einen Überbrückungsregelung nutzen zu können. Demnach wäre der Haupt- und Finanzausschuss bis Ende der Sommerferien entschlussfähig, was die Bearbeitung von Themen vereinfacht und beschleunigt hätte. Der deutsche Städtetag hat diese Strategie vieler Kommunen aber für rechtlich bedenklich erklärt. „Für einige Beschlüsse braucht es Rechtssicherheit“, so Norbert Gärtner, Leiter des Bürgermeisterreferats. Die Änderungen eines Flächennutzungsplans, etwa für den Bau eines Hotels hinter dem Saalbau oder den Neubau des Rewe-Marktes in Rüdinghausen, dürfe rechtlich nicht anfechtbar sein.

Daraufhin sollte der Rat in den Saalbau auswandern, dieser war am kommenden Dienstag (23.6.) aber schon ausgebucht. Größtes städtisches Gebäude ist die Turnhalle der Holzkamp-Gesamtschule. Dorthin wurde eingeladen. „Ich halte das für sehr unglücklich“, sagt Thomas Richter, Fraktionsvorsitzender von „Solidarität für Witten“, dazu im letzten HFA am 16.6.. „Es gibt keine direkte Belüftung, außer man öffnet die Turnhallentür. Viele Ältere wollen deswegen nicht kommen.“

Fraktionen sollen Zahl der Anträge einschränken

So tagen andere Stadträte

Mit der Ratssitzung auf Distanz tun sich viele Städte schwer. In vielen Städten wandert das Gremium aus: Bochum tagte im Ruhrcongress, Duisburg in der Mercatorhalle, Herne im Kulturzentrum oder Hattingen in seiner Gebläsehalle. Einige Städte - wie Marl - verkleinern ihren Rat. Über eine „Pairing-Vereinbarung“ verzichten die Fraktionen auf Stimmen.

Schon lange fordern die Piraten, dass Ratssitzungen live im Internet wie in anderen Ruhrgebietsstädten auch übertragen werden. Die anderen Fraktionen haben sich bislang immer - zuletzt 2018 - gegen das Rats-TV gestellt.

Am Donnerstag (18.6.) fiel der Entschluss, die erste Ratssitzung nach dem Corona-Lockdown ins Rathaus zurückzuholen. Denn das hat eine ganz Reihe an Fenstern, die man öffnen kann. „Wir werden unter Beachtung der Sicherheitsabstände so viele Plätze wie möglich schaffen“, sagt Norbert Gärtner. Es werden neben 40 Ratsmitgliedern auch Zuhörer zugelassen, wahrscheinlich mittels einer Übertragung in den Nebenraum. Die Fraktionen müssten sich entsprechend ihrer Personalstärke verkleinern.

Angesichts der sich in den letzten Wochen angehäuften Themen sind die Fraktionen auch gehalten, die Zahl ihrer Anträge einzuschränken. Im HFA gab es dazu von Bürgermeisterin Sonja Leidemann einen Rüffel in Richtung Piraten: Diese würden ungeachtet immer wieder Anträge einbringen – etwa zum Bürgerbegehren Kornmarkt, zu dem gerade ein Rechtsverfahren laufe. Leidemann: „Ich halte ein solches Vorgehen für nicht demokratisch.“