Witten. Die Öffnung der Seniorenheime sorgt in einigen Wittener Einrichtungen für Ärger. Der Leiter der Feierabendhäuser spricht von „reinem Populismus“.
Die geplante Öffnung der Seniorenheime ab Sonntag sorgt in einigen Wittener Einrichtungen für große Sorge und Ärger. Als „reinen Populismus“ kritisiert etwa Andreas Vincke von den Feierabendhäusern am Schwesternpark die von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann verkündeten Lockerungen, er spricht „von ein Muttertags-Geschenk an die Wähler, das die Heime jetzt ausbaden müssten“.
Der Laumann-Plan sei nicht durchdacht
Aus dem Radio habe er erfahren, dass die Einrichtungen ab Sonntag geöffnet werden dürfen, so Vincke erbost. Gerade mal vier Tage habe er nun Zeit, die Besuchsregelung vorzubereiten. „Wir haben 135 Angehörige – wissen Sie, was da los sein wird?“ Schon am Mittwoch habe das Telefon nicht still gestanden. Dabei räumt der Minister in seinem späteren Schreiben den Heimen drei Wochen Zeit ein, um ein Hygienekonzept zu erstellen und abzustimmen. „Aber am Muttertag machen wir bereits auf, das ist doch unglaublich, was hier abläuft.“ Der Laumann-Plan sei nicht durchdacht. „Und wenn dann was passiert, wer ist dann schuld? Wir!“
Von einem „falschen Signal“ spricht auch Magdalena Pogorzalek, Leiterin im Haus Buschey. Die plötzliche Öffnung komme zu schnell. „Wochenlang haben wir alles getan, um unsere Bewohner zu schützen. Und nun nimmt die Politik uns allen Schutz weg“, sagt sie. Unüberlegt sei das und gefährlich. Denn bei allem Verständnis für die Freude der Angehörigen und der Bewohner über die jetzt wieder erlaubten Kontakte: „Ich habe Sorge, dass die Öffnung zu früh kommt.“
„Vorgaben ohne Sinn und Verstand“
Noch deutlicher wird André Löckelt vom St. Josefhaus in Herbede. „Ohne Sinn und Verstand“ seien die Vorgaben aus Düsseldorf. Wochenlang sei alles getan worden, um die Bewohner zu schützen, und jetzt müsse er „alle Leute ins Haus lassen“. „Das ist doch Wahnsinn, für uns die schlimmste aller Möglichkeiten.“ Trotzdem müssten die Bewohner natürlich weiterhin sicher versorgt werden. „Dieses Problem wird auf die Pflegekräfte abgewälzt, das ist einfach nicht fair“, so Löckelt. Anstatt den Heimen die Möglichkeit zu geben, den Start gut zu planen, werde „holterdipolter“ die Muttertags-Öffnung bekanntgegeben. „Nur damit die Politik gut dasteht. Das kann nicht richtig sein.“
Auch Marion Wangelik blickt mit Sorge in die Zukunft: „Wir sind erst am Anfang der Pandemie, nicht am Ende.“ Die Einrichtungsleiterin des Seniorenhauses Stockum arbeitet derzeit unter ganz besonders schwierigen Voraussetzungen. Die Einrichtung am Helfkamp ist erst am 7. April, also mitten in der Coronakrise eröffnet worden. Für die inzwischen 17 der insgesamt 80 Bewohner kam nach dem Einzug und der Umgewöhnung gleich die Isolation. „Die vorgeschriebenen 14 Tage Quarantäne auf dem Zimmer sind das Schlimmste für alle“, sagt Wangelik. Zum Glück sei das Team groß genug, um sich „sehr intensiv um jeden einzelnen kümmern zu können“. Dennoch würden die Bewohner sehr unter der Einsamkeit leiden, weiß die Einrichtungsleiterin. Bei aller Sorge ist sie daher auch froh, dass Kontakte bald wieder möglich sein werden. In Stockum wird es dafür ein Kontaktfenster geben, an dem sich die Bewohner mit ihren Lieben auf Abstand treffen können. „Das wird eine große Hilfe für alle sein.“
Hin- und hergerissen zwischen Sorge und Freude ist auch Bernadette Heiduk vom Josefshaus in Annen. „Wir waren so froh, dass alle gesund geblieben sind. Jetzt müssen wir schauen, was passiert“, sagt die Pflegedienstleitung. Nicht nur sie habe Sorgen: „Die Bewohner freuen sich auf den Besuch, aber sie haben auch Angst.“ Sie müssten sich jetzt darauf verlassen können, dass sie nicht leichtfertig gefährdet würden.
Jeder einzelne Besuch muss aufwändig organisiert werden
Das Heim sorgt für den nötigen Schutz. Dafür müsse aber jeder einzelne Besuch aufwändig organisiert werden, betont Caritas-Vorstand Hartmut Claes. Dazu gehöre nicht nur die Ausstattung der Besucher mit Schutzmaterialien, sondern auch das gesundheitliche Screening, inklusive Temperaturmessen und Erfassung persönlicher Daten. Die Folge: Nur ein kleiner Teil der Heimbewohner könne so gleichzeitig besucht werden – und nicht alle am Muttertag. „Die Altenheime werden personell wie organisatorisch nicht in der Lage sein, die hohen Erwartungen zu erfüllen“ so Claes weiter. „Die Heime können nicht gewährleisten, dass an Muttertag alle gewünschten Besuche stattfinden werden.“
Awo steht hinter den Öffnungen
Die Awo steht hinter den von der Landesregierung beschlossenen Öffnungen. „Wir haben in den vergangenen Wochen täglich erlebt, wie sehr sich die Menschen in unseren Seniorenzentren den Besuch von Angehörigen wünschen“, so Uwe Hildebrandt, Geschäftsführer des AWO Bezirksverbandes Westliches Westfalen. „Wir können erste Schritte der Lockerung verantwortungsvoll gehen.“
Dafür werden auf den Außengeländen der Awo-Heime Pagoden-Zelte aufgebaut, in denen eine Plexiglasabtrennung für Sicherheit sorgt. Zudem steht Desinfektionsmittel bereit, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren.
Das kann auch Andreas Vincke von den Feierabendhäusern nicht versprechen. Drei Plätze am Fenster wird es dort ab Sonntag geben – für über 100 Angehörige. „Und wissen Sie, was mich man meisten ärgert: Wir hatten uns so auf die Öffnung gefreut – und nun wird dieses schöne Ereignis von den unschönen Rahmenbedingungen kaputt gemacht.“
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