Witten. Sind Sie nervös oder müde? Haben Sie einen „dicken Hals“? Dann könnte es an der Schilddrüse liegen. Beim WAZ-Medizinforum in Witten gab’s Rat.

Dass es offenbar auch noch ein Leben neben Corona gibt, nahm Prof. Dr. Metin Senkal beim WAZ-Medizinforum am Dienstagabend (3.3.) im Marien-Hospital erfreut zur Kenntnis. Viele Wittener waren gekommen, um sich Wissenswertes über ein kleines, aber wichtiges Stoffwechselorgan anzuhören. Es ging um die Schilddrüse, die sich bei etwa jedem dritten Erwachsenen in Deutschland im Laufe des Lebens krankhaft verändert. Und sie taugt sogar zum Krimi-Star.

Fast bis auf den letzten Platz besetzt war der Medienraum des Marien-Hospitals beim WAZ-Medizinforum.
Fast bis auf den letzten Platz besetzt war der Medienraum des Marien-Hospitals beim WAZ-Medizinforum. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Dr. David Scholten verpackte seinen Vortrag in eine unterhaltsame Detektivgeschichte. Denn: Viele Indizien weisen den Weg, um Schilddrüsenerkrankungen auf die Spur zu kommen, so der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Gastroenterologie. Am häufigsten trete eine Vergrößerung auf, die sich im Extremfall zu einem deutlich sichtbaren Kropf entwickeln kann und durch Jodmangel entsteht. Um diesen zu vermeiden, sei unser Salz häufig mit Jod angereichert. Scholten hatte weitere Tipps auf Lager.

Wittener Publikum lernt: Starke Nervosität kann auf eine Überfunktion hinweisen

Der Verzehr von Fisch, mediterraner Kost und Feldsalat beuge vor. Wer vegan lebt, der sollte zum Beispiel auf Kartoffeln, Cashewnüsse und Nori-Algen setzen. Wer nervös ist, Gewicht verliert, schlecht schläft und sich stets „wie ein Rennwagen im roten Bereich“ fühlt, dessen Schilddrüse könnte eine Überfunktion haben. Wer dagegen nicht aus dem Quark kommt, den plagt vermutlich eine Unterfunktion. Der Patient verspüre dann die gegenteiligen Symptome: Müdigkeit, depressive Verstimmung, Gewichtszunahme – um nur einige zu nennen.

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Wohlgemerkt: „Es gibt viele Diagnosen, bei denen die gleichen Beschwerden vorliegen“, betonte der Mediziner. Das mache es so schwierig, den Übeltäter zu erwischen. Eine Blutabnahme liefere erste Erkenntnisse. Besonders aussagekräftig dabei ist der TSH-Wert. Außerdem können sich an der Schilddrüse heiße und kalte Knoten bilden. Letztere können sich in seltenen Fällen zu einem Tumor entwickeln. „Das kommt bei vier von 100.000 Einwohnern vor“, so Scholten, der schließlich noch Hashimoto und Morbus Basedow als Autoimmunerkrankungen vorstellte.

Blutuntersuchung, Ultraschall oder Szintigramm bringt Klarheit

WAZ-Redakteurin Jutta Bublies moderierte das Medizinforum zum Thema Schilddrüse.
WAZ-Redakteurin Jutta Bublies moderierte das Medizinforum zum Thema Schilddrüse. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Nicht nur Blutuntersuchungen, auch bunte Bilder können helfen, die üblichen Verdächtigen zu ermitteln. Hier kam Nuklearmediziner Dr. Alexander Bellendorf ins Spiel. Per Ultraschall am vorderen Halsbereich, wo die Schilddrüse mit ihren beiden schmetterlingsförmigen Lappen sitzt, sei das Organ sehr gut darstellbar. Knoten können so erkannt werden. Doch noch deutlicher werde die überaus komplexe Funktionsweise der Hormondrüse mit einem Szintigramm dargestellt.

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Dem Patienten wird dabei eine schwach radioaktive Substanz gespritzt, die eine Viertelstunde wirken muss. Dann erfolgt die Aufnahme. Etwa zehn Minuten muss man dabei bewegungslos vor dem Gerät sitzen. „Das ist schmerzfrei und nur mit geringer Strahlenbelastung verbunden“, beruhigt Bellendorf. Wird dabei ein kalter Knoten erkannt, sollte dieser punktiert, also per Nadel eine Probe genommen werden – ambulant, ohne Betäubung. Allerdings, warnte später Metin Senkal in seinem Vortrag, sei diese Untersuchung nur in einem Drittel aller Fälle aussagekräftig: „Man weiß nicht genau, welches Gewebe man trifft.“

Wittener Ärzte stellen verschiedene Therapie-Möglichkeiten vor

Wenn klar ist, welche Probleme die Schilddrüse bereitet, können die Ärzte zu einer entsprechenden Therapie raten. Meist geht es nicht ohne Medikamente. Das Mittel der Wahl ist L-Thyroxin, ein synthetisch hergestelltes Präparat. Es ist identisch mit dem Hormon der Schilddrüse und „es gibt keine Alternative“, so der Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Marien-Hospital, Metin Senkal.

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Vielen Besuchern des Medizinforums dürfte sein Tipp, die Tablette lieber abends statt morgens zu nehmen, neu gewesen sein. Kurz vor dem Einschlafen könne man so das beste Ritual entwickeln. Doch wenn der Chirurg einen Vortrag hält, dann darf die OP darin nicht fehlen. Sie wird nötig, wenn sich bereits ein Kropf gebildet hat. Diesen „dicken Hals“ kannte man übrigens schon vor vielen Jahrhunderten, so Senkal. Weshalb es sich nicht um eine Zivilisationskrankheit handele. Die Bilder aus einem alten Lehrbuch, die er zeigte, hatten durchaus Grusel-Potenzial.

Zuhörer Manfred Schulz meldet sich beim WAZ-Medizinforum zu Wort. Er fordert eine Schilddrüsenambulanz für Witten.
Zuhörer Manfred Schulz meldet sich beim WAZ-Medizinforum zu Wort. Er fordert eine Schilddrüsenambulanz für Witten. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Die Entfernung der ganzen oder eines Teils der Hormondrüse sei heutzutage in der Regel unproblematisch, beruhigte der Chefarzt, der seit 30 Jahren Schilddrüsen-Patienten unters Messer bekommt. Die Gefahr von Nachblutungen oder Wundinfektionen sei sehr gering. Meist reiche ein Schnitt von drei bis fünf Zentimetern vorne am Hals. Nur auf eines müsse der Operateur ganz besonders achten: auf den Stimmbandnerv, der sich dicht an der Schilddrüse befindet. Von minimal-invasiven Eingriffen indes rät Senkal ab.

Chirurg: Bei Knoten und Tumoren sollte operiert werden

„Wie muss eine Diagnose für eine OP aussehen?“, wollte eine Zuhörerin wissen. Bei Knoten und Tumoren komme man kaum darum herum, so der Chirurg. „Um auf Nummer sicher zu gehen.“ Ansonsten sei es auch eine persönliche Entscheidung. Denn bei der Radiojodbehandlung, einer weiteren Therapieform, drei Tage in einem Spezialzentrum in Quarantäne zu liegen, sei nicht jedermanns Sache – auch wenn sie, laut Kollege Bellendorf, gut vertragen werde.

Die Frage nach Spezialisten lag dem Publikum am Herzen. Meist seien Endokrinologen die richtigen Ansprechpartner, ein Schilddrüsenzentrum gebe es in Dortmund. Aber auch das Team am Marien-Hospital biete spezielle Sprechstunden an, demnächst nicht mehr nur in der Chirurgie, sondern interdisziplinär. Und vielleicht wird es ja irgendwann, wie es sich ein Betroffener wünschte, sogar eine Schilddrüsenambulanz in Witten geben.