Witten. Gudrun Gronau schließt bald ihren Buchladen in Witten-Stockum. Damit geht auch ein wichtiger Treffpunkt im Dorf verloren. Doch etwas bleibt.
Die Regale sind schon ziemlich leergefegt, seit ein Schild im Schaufenster mit 50-Prozent-Rabatten wirbt. Doch richtig Schluss ist erst in drei Wochen. Dann gibt Gudrun Gronau ihr Geschäft an der Hörder Straße auf. Damit verliert Witten eine der letzten inhabergeführten Buchhandlungen und die Stockumer müssen sich nach einem anderen Treffpunkt umschauen.
Denn zu Gudrun Gronau kommen die Kunden nicht nur, um Krimis, Stifte, Hefte, ein Busticket oder netten Dekokram zu kaufen. Bei ihr tauschen sie die neuesten Nachrichten aus, plaudern ein Weilchen oder kommen auch nur mal vorbei, um den Gemeindebrief mitzunehmen.
„Wir waren wie eine kleine Sozialstation“, sagt Gudrun Gronau. Von ihrem Laden spricht sie schon in der Vergangenheit. Auf „16 tolle Jahre“ blickt die 63-Jährige zurück. Gemeinsam mit ihrer Schwester Marion Janke (61) hat sie hier alles selbst gestemmt.
Wirtschaftliche Gründe machen die Schließung des Witteners Geschäft nötig
„Wir haben die Buchhaltung gemacht, uns um den Wareneinkauf gekümmert, geputzt und das Schaufenster dekoriert“, sagt Gudrun Gronau. Sie haben also richtig Herzblut reingesteckt – und schließen doch aus wirtschaftlichen Gründen.
„Der Anspruch der Kunden wächst“, sagt die Stockumerin. „Man müsste am besten alles hier haben.“ „Alles“, das umfasst noch viel mehr als Bücher oder Geschenkartikel. Doch das könne man als kleiner Einzelhändler nicht leisten. Zudem haben den Schwestern die hohen Mindestabnahmen bei den Großhändlern zu schaffen gemacht. „Das ist für kleine Geschäfte tödlich“, sagt Marion Janke.
Während die Einführung der E-Books keinen Einfluss auf ihren Buchabsatz gehabt hätte, sei mit den großen Onlineversandhändlern und der Möglichkeit, dort sämtliche Bücher zu bestellen, der Einbruch gekommen. Seit fünf Jahren betreiben sie selbst einen kleinen Online-Shop, in dem Kunden stöbern und Lektüre ordern können, die dann am nächsten Tag im Laden ist. Hat aber alles nichts genützt. „Es tut uns vor allem für die älteren Kunden leid“, sagt Gudrun Gronau. Sie ahnt, dass am letzten Verkaufstag ein paar Tränchen fließen werden. Auch bei ihr.
Gudrun Gronau wird weiter Schulbücher bestellen und ausliefern
Was erst mal bleibt: Sie wird weiter Schulbücher bestellen, sich im Sommer einen 7,5-Tonner mieten und die schweren Kartons ausliefern. Damit habe sie vor 25 Jahren angefangen – dank eines Zufalls. Denn eigentlich hat Gudrun Gronau als Industriekauffrau bei Thyssen Stahl nach Nordamerika verkauft. Bis Nachbarn sie gefragt haben, ob sie nicht Lust hätte, deren Versandhandel zu übernehmen. Gronau übernahm – von zuhause aus. Und dann standen zehn Jahre lang im Sommer zu Beginn des neuen Schuljahrs tonnenweise Bücher in Wohnzimmer und Flur herum. Die wird sie in Zukunft ganz entspannt im Ladenlokal lagern.
Zum Abschied gibt’s Sekt
Am Samstag, 29. Februar, um 9 Uhr öffnen Gudrun Gronau und ihre Schwester Marion Janke ein letztes Mal die Buchhandlung an der Hörder Straße 340. „Dann gibt es zum Abschied Sekt und ein paar Häppchen und das war’s dann“, sagt Gronau.
Das Engagement der Stockumerin im Dorf geht weit über den bloßen Verkauf hinaus. Sie hat jedes Jahr im Auftrag des Heimatvereins kleine Präsente für die Erstklässler der Harkortschule gepackt. Hat am Welttag des Buches den Viertklässlern erklärt, wie Bücher entstehen. Hat am Rosenmontag, als die Jecken noch durch den Ort liefen, Kamelle geschmissen. Oder hat im Advent vor dem Laden Glühwein ausgeschenkt.
Darüber hinaus beteiligt sich Gudrun Gronau am Catering für Veranstaltungen im KuKloch und ist Mitglied im Presbyterium der Ev. Kirchengemeinde. Ihre Freizeit verbringt sie gern mit ihrem Mann im Wohnwagen, der auf einem Platz am Rhein-Herne-Kanal steht.
Das Geschäft mit Büchern, Schreibbedarf und Geschenkartikeln, das sie seit 16 Jahren führt, sei von Anfang an gut gelaufen. „Sowas gab es ja in Stockum bis dahin nicht“, sagt die Inhaberin. Sie könne sich an Zeiten erinnern, „da standen die Mütter mit ihren Listen in Viererreihen Schlange, um Schulmaterial zu kaufen“. Da hätten vier Leute am Tag durchgehend gearbeitet. „Heute erledigt einer allein das in drei Stunden.“
Freundlichkeit – das sei ja von jeher ihr oberstes Gebot gewesen, betont Gudrun Gronau. Sie hat die Tochter einer Kundin mit ihrer angenehmen Art offenbar so beeindruckt, dass die Kleine auf die Frage nach ihrem Berufswunsch immer geantwortet habe: „Frau Gronau.“ Das Kind ist jetzt zehn Jahre alt – und traurig, dass nun nicht mal mehr ein Praktikum im Lieblingsladen möglich ist.
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