Witten. . Gudrun Gronau ersteigerte die Stockumer Ansicht im Internet. Abgestempelt ist sie 1913. Die Heimatfreunde fanden noch viel mehr heraus.

Als Detektive haben sich neulich mal wieder einige Mitglieder der Heimatfreunde Stockum/Düren betätigt. Gudrun Gronau gab dazu den Anlass, denn die 60-Jährige hatte eine Postkarte im Internet ersteigert. Sie stammt von 1913, ist trotzdem schon koloriert und zeigt eine Ansicht der Hörder Straße, die damals noch Provinzialstraße hieß.

„Wenn’s um Stockum geht, werde ich immer neugierig“, sagt die Buchhändlerin, die seit 25 Jahren im Dorf lebt und seit 2005 dort ihren Laden betreibt. Zehn Ansichtskarten hat sie bereits bei Ebay ersteigert. Diese weckte ganz besonders ihr Interesse: „Die evangelische Kirche, die links im Vordergrund zu sehen ist, war damals noch recht neu.“ Auch dass die Karte bunt ist, sei für diese Zeit durchaus ungewöhnlich.

Wer etwas über die Karte weiß: Bitte melden

Die Heimatfreunde Stockum/Düren haben derzeit 225 Mitglieder – und ein gut bestücktes Archiv mit über 1000 alten Fotos.

Falls sich jemand unter den auf der Karte genannten Namen wiedererkennt, würde sich der Verein sehr freuen, wenn derjenige sich melden würde. Das Archiv der Heimatfreunde an der Hörder Straße 367 ist donnerstags von 15 bis 17 Uhr geöffnet.

Als Mitglied der Heimatfreunde reichte sie das gute Stück gleich weiter an Harald und Christel Schmidt. Denn mit dem Text konnte sie nichts anfangen: Er ist in Sütterlin geschrieben. Dass die Adressatin eine Elisabeth Koebel in Hamburg war, konnte Gudrun Gronau gerade noch entziffern, doch dann musste Harald Schmidt weiterhelfen, der die alte Schrift fließend lesen kann. „Ich habe das zwar auch nicht in der Schule gelernt, aber meine Mutter und meine Oma haben so geschrieben“, sagt der 78-Jährige. Was er auf der Karte entzifferte – vor allem aber die seltsame Adresse – weckte auch bei ihm den Forscherdrang.

Vorn auf der Karte, die am 19.10.1913 abgestempelt wurde, steht: „In dieser Kirche hier ist Gretchen drin getauft.“ Der Text auf der Rückseite lautet: „Liebe Elise. Hoffentlich bist du glücklich in Hamburg angekommen. Wir wünschen dir eine gute Reise. Herzlichen Gruß von Heinrich, Maria, Fritzchen, Paula und Gretchen. Viele Grüße und Küsse an Klara, Heinrich, Paul und die beiden Kinder. Überreiche ihr die fünf Küsse, die ich hiermit schicke. Küsse sie für uns.“ Gerichtet ist diese Botschaft an eben jene Elisabeth, Imperator Kammer 853, H.Deck.

Auf dem Weg nach Amerika

„Diese eigenartige Anschrift brachte uns schon ins Grübeln“, so Harald Schmidt. Aber in Zeiten von Google kriegte er schnell heraus, dass es sich bei der „Imperator“ offenbar „um das damals größte Turbinendampfschiff der Welt“ handelte. Es sei 1912 von Kaiser Wilhelm II getauft worden und verkehrte regelmäßig als Passagierdampfer zwischen Hamburg und Amerika. „Die Daten klingen noch heute sensationell“, finden die Heimatfreunde. Das Schiff war über 270 m lang und bot Platz für 4200 Passagiere und 1200 Mann Besatzung. Mit seinen 46 Dampfkesseln, die bis zu 8500 Tonnen Kohle fassten, konnte es bis zu 62 000 PS erzeugen.

„Kammer“ ist wohl eine Schiffskabine

Den Begriff „Kammer 853“ interpretierten die Heimatfreunde als Kabine. „Wir vermuten, dass es sich bei Elisabeth Koebel um eine Frau handelt, die ihre Verwandten in Amerika besuchen wollte“, so Christel Schmidt. „Oder die ausgewandert ist“, überlegt Gudrun Gronau, der das Schicksal der Frau irgendwie keine Ruhe lässt. „Man kann ja die Passagierlisten einsehen. Danach ist diese Frau, die damals 47 Jahre alt und verheiratet war, nach New York gereist. Und heute lebt jemand mit Namen Köbel in San Diego.“ Die Recherche in den Stockumer Kirchbüchern habe außerdem ergeben, dass im fraglichen Zeitraum zwei „Greten“ in der Ev. Kirche getauft wurden.

„Es kam immer noch ein i-Tüpfelchen hinzu“, freut sich Gudrun Gronau. Was ihr aber nach wie vor Kopfzerbrechen bereitet: „Hat die Karte das Schiff erreicht? Und wenn ja, warum war sie jetzt wieder in Deutschland?“ Dieses Rätsel bleibt wohl ungelöst – es sei denn, jemand aus Stockum hat noch einen Hinweis auf Lager. Oder, schmunzelt Gudrun Gronau, „wir müssen jetzt nach San Diego“.