Witten. Martin Woesler lehrt an der Uni Witten, lebt aber auch in China und pflegt enge Kontakte dorthin. Wie er die Ausbreitung des Coronavirus erlebt.
Normalerweise spielt sich das Leben von Martin Woesler zwischen Deutschland und China ab. An der Wittener Uni hat er die Professur für Literatur und Kommunikation in China inne, lebt etwa die Hälfte des Jahres in der Sieben-Millionen-Stadt Changsha und unterrichtet an der dortigen Hochschule. Anfang Januar kehrte er nach Deutschland zurück – und wird wegen des Coronavirus so schnell auch nicht mehr in die Volksrepublik zurückkehren. Er sagt: „Hier bekommt man nicht das ganze Bild mit.“
Tausende Infizierte, abgeriegelte Städte und eine allgegenwärtige Angst vor dem Coronavirus: „Nicht nur die Stadt Wuhan und weitere Städte in derselben Provinz sind unter Quarantäne. In ganz China wirken die Städte wie Geisterstädte“, sagt Woesler. Die meisten Chinesen würden derzeit mit ihrer Großfamilie zusammen zuhause sitzen – sobald es in der jeweiligen Stadt einen Infizierten gebe.
Wittener: Jeglicher menschlicher Kontakt wird wegen des Coronavirus vermieden
„Ab und zu wird vielleicht ein junges, kräftiges Familienmitglied zum Einkaufen nach draußen geschickt“, weiß der Wittener Professor. Das meiste allerdings laufe über Online-Bestellungen. Allein schon das Annehmen der Bestellungen gehe mit einem unguten Gefühl einher, weil man dann ja mit einem fremden Menschen Kontakt habe. „Generell versuchen die Menschen, auf niemanden außerhalb ihrer eigenen Familie zu treffen.“
Woesler selbst reiste mit seiner Familie bereits Anfang Januar aus China ab - „glücklicherweise“, wie er sagt. Er war zwar selbst nicht direkt in Wuhan, unterrichtet aber an der Hunan Normal Universität in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, die südlich an die Provinz angrenzt, in der die Epidemie ausgebrochen ist.
Zunächst ging es für die Familie zu Konferenzen nach Peking und Manila (Philippinen), am 14. Januar dann weiter nach Frankfurt. Die Abreise war geplant, auf den Sinologen wartete ein Forscherkolleg in Lüneburg.
Wittener wollte Mitte Februar zurück nach China reisen
Doch schon Mitte Februar sollte es für den Wissenschaftler mit Frau und kleinem Kind pünktlich zum Start des neuen Semesters zurück nach Changsha gehen. „Das ist jetzt erstmal alles storniert“, sagt Martin Woesler. „Ich werde erst wieder nach China fliegen, wenn ich mich sicher fühle.“
An vielen Universitäten dort sei der Semesterbeginn schon auf den 24. Februar verlegt worden, sagt der Gelehrte. Doch dass die Vorlesungen dann starten werden, hält er bei der aktuellen Lage für „völlig unrealistisch“. Auch dieser Termin werde sich noch nach hinten verschieben. Seine Universitätskollegen arbeiten derzeit schon daran, wie sie die Studenten virtuell erreichen können, und bauen E-Learning-Plattformen auf.
Kontakt zu Lieferanten von Atemschutzmasken hergestellt
Martin Woesler tauscht sich intensiv mit chinesischen Freunden und Kollegen aus, täglich erreichen ihn besorgte Nachrichten. Einige seiner Bekannte würden versuchen, Großlieferungen von Atemschutzmasken zu organisieren. „Da habe ich schon Kontakte zu deutschen Lieferanten hergestellt“, sagt der 50-Jährige. Einige der Lieferanten hätten inzwischen ihren gesamten Bestand nach China geliefert. Andere Bekannte würden befürchten, dass die Hälfte der Landesbevölkerung dem Virus zum Opfer fallen könne. „Da versuche ich zu beruhigen“, sagt der 50-Jährige.
Wittener Firma mit 40 chinesischen Standorten
Auch die Firma ZF Industrieantriebe verfolgt das Geschehen in China aufmerksam. Das Unternehmen unterhält in China 40 Werke, in denen 14.000 Menschen arbeiten. Eines der Werke liegt in der Nähe von Wuhan. Dort ruht derzeit die Produktion.
Für ZF arbeiten 67 Expats in China, also deutsche Mitarbeiter, die für mehrere Jahre dort eingesetzt sind. Einige dieser Expats seien bereits zurückgekehrt, sagt ein Unternehmenssprecher. Bislang gebe es aber keinen Verdachtsfall oder bestätigten Fall des Coronavirus unter den ZF-Mitarbeitern. Reisen von und nach China hat das Unternehmen seit Mitte letzter Woche untersagt.
Während die realen zwischenmenschlichen Kontakte also derzeit auf ein absolutes Minimum beschränkt sind, würde der Austausch in den sozialen Netzwerken boomen. „Es gibt einen großen Zusammenhalt und viel Solidarität“, sagt Martin Woesler. Menschen würden aufmunternde Lieder und Bilder teilen – unter dem Hashtag „Ich bin Wuhan“.
Nach seiner Rückkehr aus China hat sich der Hochschullehrer übrigens auf den Virus testen lassen – und war erleichtert, dass er sich nicht infiziert hat. Auch seine Familie hat den Virus nicht mit nach Deutschland gebracht. Nun hofft der China-Experte, dass sich die Ausbreitung des Virus durch die umfangreichen Maßnahmen vor Ort bald eindämmen lässt.
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