Witten. An Wittener Grundschulen kämpfen Lehrer gegen mehr als nur fehlende Sprachkenntnisse. „Wir verlieren Kinder“, klagt eine Rektorin.
An der Bruchschule hat fast die Hälfte der 200 Schüler einen Migrationshintergrund. Insgesamt lernen hier Kinder aus 23 Nationen. „Wer hier arbeitet, für den muss der Beruf Berufung sein“, sagt Rektorin Susanne Daum. Von fehlenden Sprachkenntnissen bis hin zur vollständigen Schulverweigerung – Unterricht bedeutet hier viel mehr als die bloße Vermittlung von Inhalten. Und die Bruchschule steht mit diesem Problem nicht allein da.
Ähnlich sieht es auch an anderen Schulen in City-Nähe aus – wie der Gerichtsschule oder der Baedekerschule in Annen. „Das Problem ist nicht das einzelne Kind, sondern die Mischung. Es ballt sich“, sagt Daum. An Schulen in „besseren“ Stadtteilen käme etwa oft nur ein einziger Seiteneinsteiger auf 50 Schüler, an den stärker belasteten Schulen sind es schon einmal 20 von 50 Kindern.
Zusätzlicher Unterricht im Fach Deutsch
Als Seiteneinsteiger gelten alle Kinder, die zum ersten Mal in Deutschland eine Schule besuchen und kein oder kaum Deutsch sprechen. Dazu zählen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Zuwanderer aus den EU-Ländern Rumänien und Bulgarien. Hinzu kommen Kinder mit Migrationshintergrund.
Die mangelnden Sprachkenntnisse dieser Kinder versucht man über gezielte Sprachförderung aufzufangen. Die Grundschulen haben dafür zusätzliche Integrationsstellen, die schwerpunktmäßig Deutsch als Fremdsprache unterrichten oder die Schüler im Unterricht unterstützen. An der Baedekerschule stehen dafür etwa 28 zusätzliche Lehrer-Stunden zur Verfügung. Weil die Schüler direkt in die Klassen integriert werden, würden sie auch von den Schulkameraden lernen. „Das klappt oft gut“, sagt Schulleiter Andreas Straetling.
Die Sprache sehen beide Rektoren aber nicht als Hauptproblem. „Wenn wir fördern, dann ist das meist nicht inhaltlich, sondern ganz elementar“, sagt Straetling. „Wir müssen diese Kinder erst einmal schulfähig machen.“ Deshalb laufe auch „unglaublich viel Arbeit“ außerhalb des Unterrichts ab. Unterstützt werden die Lehrer dabei von Schulsozialarbeitern und Sozialpädagogen. Doch nicht jede Schule, die gerne einen solchen Pädagogen hätte, bekommt auch einen, weiß Daum. Von 17 Stellen an Wittener Grundschulen seien nur elf besetzt. „Der Markt ist leergefegt.“
Besonders bei den Familien aus Osteuropa beobachten die Schulleiter ein fehlendes Interesse am Schulbesuch der Kinder. Hier müsse man „positiv penetrant“ sein, sagt Straetling. Bei ihm kümmert sich etwa eine Sozialpädagogin intensiv um eine rumänische Familie, übersetzt und beantwortet Behördenschreiben. So werde Vertrauen aufgebaut, das vorher gefehlt hat. Doch ganz ohne Druck geht es nicht immer: Eine Familie hatte ihre Kinder ein Jahr lang nicht in die Bruchschule geschickt.
Förderunterricht muss wegen Lehrermangel ausfallen
Hinzu kommen deutsche Schüler aus sozial schwächeren Schichten, die „spracharm“ aufwachsen: „Diese Kinder haben Lese- und Schreibschwierigkeiten, weil einfach die Vorbilder fehlen“, sagt Straetling. Am Ende sitzen alle diese Kinder gemeinsam in einem Klassenzimmer. Lehrer müssen möglichst individuell auf sie eingehen. Diese Anforderung zu erfüllen, wird durch den Lehrermangel erschwert.
Selbst eine Schule wie die Bruchschule muss Lehrer oder Stunden an andere Einrichtungen abtreten. „Als erstes fallen dann natürlich die Förderstunden hinten runter. Wir müssen ja den Regelunterricht gewährleisten“, betont Daum. Deshalb sei es besonders schwer, kontinuierlich mit den Schülern zu arbeiten. „Es ist schlimm zu akzeptieren, dass man Kinder verliert. Wir können unserem Lehrauftrag nicht immer nachkommen, wie wir es gerne täten“, sagt Daum. „Das zehrt an den Nerven der Kollegen.“