Witten. Bis in die 80er bekamen viele Wittener Deputatkohle geliefert. Sie wurde durch Fensterluken in den Keller gescheppt. Es gibt tolle Erinnerungen.

Der Kohlehaufen, den die Frau auf unserem Rätselbild in den Keller schaufelte, lag vor Hausnummer 15 an der Kurt-Schumacher-Straße. Die Häuser dort sind inzwischen zwar ein bisschen in die Jahre gekommen. Aber alles in allem hat sich hier bis heute kaum etwas verändert. Auch die Fensterluken zum Keller sind alle noch da. Nur sind einige davon inzwischen mit einer Stahlplatte verschlossen. Es müssen ja schließlich keine Kohlen mehr hineingeschaufelt werden.

Schaut man heute in das Wittener Branchenverzeichnis, findet man keinen einzigen Kohlenhändler mehr. Anfang der 80er Jahre, als das Rätselbild entstand, gab es doch noch einige. Im Verzeichnis von 1950 waren noch 33 Kohlenhändler gelistet. Zu der Zeit waren in Witten 2914 Personen in bergmännischen Berufen tätig. Und jeder von ihnen bekam die sogenannte „Deputatkohle“. Das war eine gewisse Menge an Kohlen, in der Regel mehrere Tonnen jährlich, die die Firma als sogenannten „Hausbrand“ frei Haus lieferte.

 
 
  © - Davide Bentivoglio

Bei vielen unserer Leser hat dieses Rätselfoto Erinnerungen geweckt. Wolfgang Aeißen kennt die Frau mit Schüppe sogar persönlich. Es war die damalige Hausbesitzerin, eine Frau Hartmann. „Beim Anblick der Eierbriketts schaufelnden Frau versetzte mich meine Erinnerung sogleich in die Zeit meiner Kindheit in Heven“, schreibt Manfred Schwandt. Anfangs durfte er seinem Vater beim Kohleschaufeln helfen.

Ein paar Jahre später musste er sie aus dem Keller bis in den zweiten Stock tragen. „Doch wir freuten uns alle, wenn der Kohleofen im Wohnzimmer so angenehme Wärme spendete“, schreibt Schwandt. Allerdings erlebte er seine Kohlenabenteuer mindestens 20 Jahre vor dieser Aufnahme. „Um 1980 hatten meine Eltern schon eine Gasheizung nachgerüstet und ich hatte zu dieser Zeit längst meine eigene Wohnung und diese hatte natürlich keine Kohlenheizung mehr.“

„Der Mann mit den Kohlen ist da
„Der Mann mit den Kohlen ist da": Er schickt sich an, sie direkt in den Keller zu tragen. Die Gebäude dahinter übrigens sind die Wohngebäude im Muttental, die einst Zeche Herrmann waren. © Davide Bentivoglio

Birgit Wiens ist in der Innenstadt aufgewachsen, in dem Viertel, wo das Rätselbild aus der Kurt-Schumacher-Straße entstand. Bis 1968 hat sie in der Oststraße gewohnt. „Beim Blick auf das Foto scheint mir die Ansicht noch vertraut.“ Damals hätte es am Schwanenmarkt noch die kleine Bäckerei „Meiser“ gegeben, „wo für uns Kinder zu den Brötchen immer noch ein kleiner Kirschlutscher in die Tüte gelegt wurde“. Etwas weiter oben gab es die „Metzgerei Grütling“, schreibt Birgit Wiens.

Wittener Leser: „Das war ne töfte Zeit“

Michael Röder fasst seine Kindheit im „Kohlezeitalter“ so zusammen: „Bei uns machte Mutta die Wäsche, Vatta war auf Schicht in Herbede auffe Zeche und die Blagen mussten pannen (Anm.d.Red.: Pannen ist ein anderes Wort für Kohle schaufeln, daher der Begriff „Pannschüppe“). War trotzdem ‘ne töfte Zeit und die Nachbarsblagen holten sich Schüppe aussem Keller und haben geholfen, danach ging’s wieder zum Pöhlen aufe Straße!“

Am Anfang war der Schweinehirte

Angeblich hat die Geschichte der Kohlegewinnung in Witten mit dem berühmten Schweinehirten begonnen, der ein Feuerchen zwischen „schwarzen Steinen“ entfachte, die dann nach vielen Stunden immer noch brannten. Ein Geschichte aber, die viele andere Orte auch für sich in Anspruch nehmen.

Wann aber tatsächlich der Bergbau in Witten begann, ist nicht bekannt. Die frühesten Belege für betriebene Zechen finden sich für das 17. Jahrhundert im Muttental, also deutlich später als in anderen Städten im Revier. Dafür entwickelte sich das Muttental zu einem Abbaugebiet mit sehr hoher Zahl von Zechen – so steht es in dem Buch „Der frühe Bergbau an der Ruhr“ (Michael Tiedt, 2019) sowie in den Texten von H. Jürgen Lewer.

Die Bergbaugeschichte endet im Jahr 1972 mit der Schließung der Zeche Herbede (Zeche Holland), genaugenommen sogar erst 1976, als der letzte Bergbaubetrieb, die Kleinzeche Egbert, seinen Betrieb einstellte.

Eierkohlen wie auf dem Bild kennt Christina Wildvang aus dem Keller des Hauses, in dem ihre Oma gewohnt hat. „Dort gab es einen kleinen Nebenraum voller ebensolcher Kohlen, die schon lange nicht mehr genutzt wurden.“ Kohlen scheppen mussten Gerd Gahr und sein Bruder noch selbst. „Wir waren für Kohlen, Briketts, Anmachholz und auch für Kartoffeln zuständig, alles Sachen, die im Herbst eingekellert wurden. Unsere beiden Schwestern halfen dafür im Haushalt mit: Spülen und Abtrocknen.“

Viele Wittener Straßennamen erinnern an Kohlevergangenheit

Geblieben aus der Kohlezeit sind in Witten ein Dutzend Straßennamen, die an bestimmte Zechen oder an den Bergbau im Allgemeinen erinnern: Auf der Bommerbank, Auf der Marta, Blankenburger Weg, Finefrauweg, Haldenstraße, Kohlbahn, Kohlensiepen, Kohlenstraße, Kohlseggenstraße, Nachtigallstraße, Walfischstraße und die Zeche-Holland-Straße. Und natürlich nicht zu vergessen die bergbauhistorischen Stätten im Muttental.

Vom Aussterben bedroht ist dagegen das Wort „Kohlescheppen“, einfach, weil die Zeit es überholt hat. Nur die Älteren kennen das Wort noch bestens, viele aus schmerzlicher Erfahrung. Viele mussten die Kohlen erst in den Eimer scheppen und dann mühsam in den Keller tragen, Eimer für Eimer, Zentner für Zentner. Die konnten sich glücklich schätzen, die die Kohlen „nur“ zum Kellerloch hineinzuschaufeln brauchten – wie die Frau auf unserem Rätselbild.