Witten. Die Wittener Piraten wollen Obdachlose besser betreuen und unterbringen. Im Sozialausschuss gab es jetzt aber auch Gegenwind für diesen Vorstoß.
Die Piraten wollen die Betreuung und Unterbringung von Obdachlosen umkrempeln. Die Betroffenen sollen künftig etwa in Trainingswohnungen auf ein eigenständiges Leben vorbereitet werden. Bei der Debatte im Sozialausschuss zeigte sich: Die wenigsten Ausschussmitglieder sind mit der Situation der Obdachlosen und wie die Hilfe für sie organisiert ist vertraut.
Mit einer emotionalen Rede warb Stefan Borggraefe von den Piraten für den Antrag seiner Fraktion. Er verwies noch einmal auf die schon mehrfach kritisierten Zustände in der Unterkunft am Mühlengraben. Städtische Mitarbeiter und die Sozialarbeiter der Caritas täten dort ihr Möglichstes. „Unser Antrag ist nicht als Kritik an ihrer Arbeit zu verstehen“, so Borggraefe. Denn Einzelne könnten an den Rahmenbedingungen nichts ändern, die Politik aber sehr wohl.
Wittener CDU wollte Obdachlose 2010 umquartieren lassen
Er erinnerte daran, dass die CDU-Fraktion bereits 2010 die Stadt beauftragen wollte, die am Mühlengraben untergebrachten Wohnungslosen umzuquartieren – wegen des „äußerst schlechten Wohnstandards“. Der Antrag wurde seinerzeit zurückgezogen, weil die Stadt angab, dass dort ab 2011 sowieso keine Wohnbebauung mehr vorgesehen sei. Knapp zehn Jahre später stehen die beiden heruntergekommenen Gebäude aber immer noch. „Und Menschen mussten zehn Jahre lang weiter so leben“, sagte Borggraefe.
Die CDU konnte sich mit dem aktuellen Antrag der Piraten aber nicht anfreunden. „Erstaunt bis erschüttert“ sei er über den Antrag gewesen, sagte deren sozialpolitischer Sprecher Volker Pompetzki. Er sah in dem Antrag ein „Bashing“ der Verwaltung, also eine überzogen harte Kritik. „Das erscheint mir wie Populismus“, sagte er in Richtung Piraten.
Ausschussmitglieder fordern mehr Informationen
Zugänglicher zeigte sich die SPD. „Sicherlich besteht dort Handlungsbedarf“, unterstützte Claus Humbert das generelle Anliegen. Er wünschte sich aber, wie auch weitere Ausschussmitglieder, zunächst mehr Informationen – vor allem zu dem, was bislang in der Stadt für Obdachlose getan wird, also welche Einrichtungen und Angebote es gibt.
Petra Schubert (SPD) plädierte dafür, zunächst abzuwarten und von den Erfahrungen in Hattingen zu profitieren. Dort wurde vor einem Jahr ein Konzept verabschiedet, wie es sich die Piraten wünschen. Die Umsetzung läuft gerade an. Ähnlich sah das Michael Gonas, Leiter des Amtes für Wohnen und Soziales. „Wir sind aber nicht abgeneigt, finden das Konzept grundsätzlich erwähnenswert.“ Pirat Stefan Borggraefe warnte vor einer zeitlichen Verzögerung. Bis Ergebnisse in Hattingen vorliegen, könne es gut und gerne noch anderthalb Jahre dauern.
„Situation verfestigt sich immer zum Negativen“
Aus der Praxis konnte Jürgen Pass, Sozialarbeiter bei der Diakonie Mark-Ruhr, die an der Röhrchenstraße eine Beratungsstelle für Obdachlose führt, eine nüchterne Bestandsaufnahme beisteuern. „Keiner von uns kann den betroffenen Menschen derzeit die Betreuung gewährleisten, die sie brauchen“, sagte er. Und: „Die Situation der Obdachlosen verfestigt sich einfach immer zum Negativen. Ich habe es noch nicht anders erlebt.“
So sieht das Hattinger Konzept aus
In Hattingen sollen sechs Trainingswohnungen für diejenigen Obdachlosen entstehen, denen gute Chancen auf eine Resozialisierung attestiert werden.
Für die übrigen Obdachlosen soll in der Nachbarstadt eine Notschlafstätte entstehen, die tagsüber gereinigt wird. Zusätzlich soll eine Tageseinrichtung mit Duschen, Waschmöglichkeiten, Getränken und warmer Mahlzeit gegen kleines Geld entstehen.
Der Piraten-Antrag soll nun noch einmal in der nächsten Sitzung des Sozialausschusses im Februar besprochen werden. Bis dahin soll die Verwaltung zusammenstellen, welche Angebote es in der Stadt gibt. Auch sollen dann weitere Vertreter aus der Praxis, etwa der Sozialarbeiter, der den Mühlengraben betreut, und Vertreter der Stadt Hattingen geladen und gehört werden.
„Es wundert mich, dass jetzt Informationsbedarf angemeldet wird“, sagt Antragsteller Stefan Borggraefe. Bereits im Frühjahr hatte er den Entwurf für sein Konzept an die Vertreter von SPD, CDU, Caritas und Diakonie geschickt – mit der Bitte um einen gemeinsamen Termin zum inhaltlichen Austausch. Eine Antwort seitens der Politik habe er nie erhalten.