Witten. Wenn sich Persönlichkeiten aus Politik, Sport und Verwaltung in den Borbacher Wald verirren, hat das einen besonderen Grund. Ein Verein wird 100.
Wenn man reinkommt, riecht es ein wenig muffig. Nun ja, das kann ja schon mal vorkommen nach 100 Jahren. Aber im Ernst: „Das ist die Feuchtigkeit“, sagt Frank Hölscher und heißt den Gast hier draußen willkommen. Hier draußen ist: Mitten im Wald, in der alten Flakstellung, die den Sportschützen in der Großen Borbach als Vereinsheim und Schießstand dient. An diesem Samstag (28.9.) feiern sie Hundertjähriges.
Man fühlt sich ein bisschen wie in der Wildnis. Dem holprigen Waldweg folgt ein Parkplatz, der weiter unten liegt. Zum SSV Borbach 1919 geht’s wieder ein Stück bergauf und dann steht man vor diesem relativ flachen Holzbau. Betritt man das Haus, sieht man links gleich den Tresen. Überall stehen Pokale. Wenig Tageslicht, viel Holz – und die Vereinschronik liegt schon auf dem Tisch. Wer darin blättert, kann tief in die 100-jährige Vereinsgeschichte eintauchen.
An einem Silvesterabend wurde der Verein im „Waldschlösschen“ aus der Taufe gehoben
Es muss einer dieser kalten Silvesterabende gewesen sein, nach dem Kreisschießen, als eine Runde von Männern zusammensaß, nicht hier im Borbacher Wald, sondern weiter unten, im „Waldschlösschen“, und den Schießclub „Wilddieb“ aus der Taufe hob. Der Name mag auch dem Alkohol geschuldet gewesen sein. Drei Jahre später wurde daraus, ganz nüchtern, der „Schießclub Annen“.
Nicht das Gründungslokal Waldschlösschen, heute übrigens ein Sex-Club an der Wetterstraße, sondern das Borbachschlösschen beherbergte zunächst den Schießstand für das Luftgewehr. Mit Kleinkalibermunition wurde an der Talsperre bei der Konkurrenz geschossen, dem Schützenverein Annen 1836. 1934 durften die Borbacher Schützen dann ihren eigenen Schießstand errichten.
Nach dem Krieg wurden die Vereinsgewehre wieder ausgegraben
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es 1950 weiter. „Der Oberschießwart Willi Kockskämper hatte zuvor in seinem Garten die Vereinsgewehre wieder ausgegraben“, heißt es dazu in der Chronik. 1953 gelang es, die Flakbaracke am Borbach aufzubauen und auch den im Krieg zerstörten Schießstand wieder herzurichten.
Es wurde viel um- und angebaut, der Kleinkaliberstand 1975 von zwei auf sechs Bahnen erweitert. 1991 wurde das heutige Grundstück, immerhin 7000 m², käuflich erworben und 2012 dort die große Halle mit zehn Bahnen für das Luftgewehrschießen auf die Beine gestellt. Meilensteine für den „Sport-Schützen-Verein Borbach 1919“. Hier treffen sogar Urgesteine wie der einstige Landesschütze Horst Zadow noch auf 50 Meter ins Schwarze.
Im Borbacher Wald treffen noch die 80-Jährigen aus großer Entfernung ins Schwarze
Zadow, der älteste Aktive im Verein, ist noch jeden Donnerstag beim Training dabei. „Jetzt, wo ich neue Linsen habe, kann ich auch wieder mit dem rechten Auge zielen“, sagt er lachend. Und ernster: „Das ist Leistungssport.“ Nur um diese „Leistung“ einmal zu verdeutlichen: Die Schützen treffen, etwa mit dem Luftgewehr, auf zehn Meter die „10“, die auf der Scheibe einen Durchmesser von 0,5 Millimeter hat. Und es ist ein weit verbreiteter Irrtum, der „Diopter“, durch den der Schütze guckt, vergrößere das Ziel. Wenngleich, natürlich, die heute hochmodernen Gewehre nicht mehr mit den alten Büchsen zu vergleichen sind.
„Beim Schießen lernt man eine gewisse Disziplin und benötigt eine absolute Körperbeherrschung“, sagt Frank Hölscher, der zweite Vorsitzende. Der 140 Mitglieder starke Verein hat auch eine Jugendabteilung. Aber es wird immer schwerer, Nachwuchs für diesen Sport zu finden. Die Amokläufe in den USA und anderswo auf der Welt hätten dem Sport enorm geschadet, sagt der 53-Jährige. „Das Thema holt uns immer wieder ein. Die ganzen Amokläufe ziehen das Image gewaltig runter.“
Hier, im Borbacher Wald, ballert keiner wild herum. Zum Glück hat es in 100 Jahren nie ernsthafte Verletzungen gegeben. Das angeblich schwache Geschlecht greift übrigens ebenfalls zur Waffe. Frank Hölscher: „Die Männer prahlen, die Frauen treffen.“