Draußen rauscht der Borbach, drinnen fallen Schüsse. Seit 90 Jahren trainieren hier mitten im Wald die Sportschützen des SSV Borbach 1919. Das Vereinsleben geht weiter, auch nach Winnenden.

Natürlich waren sie genauso geschockt wie alle anderen nach dem Amoklauf von Tim K., der ebenso wie der Täter von Erfurt eine Verbindung zu Sportschützen hatte. Dass ihre Zunft deshalb einmal mehr ins Gerede gekommen ist und gerade Jugendliche „blöde angequatscht” werden, erleben nun auch die Borbacher wieder.

„Selbst in der Schule wird man doof angeguckt, wenn man sagt, dass man Sportschütze ist”, erzählt der 15-jährige Gil, der gerade mit einem Luftgewehr auf eine kleine Scheibe in zehn Meter Entfernung schießt. Fünfmal trifft er ins Schwarze, davon einmal genau in die Mitte, in die Zehn. „Könnte besser sein”, sagt der Kreismeister.

Die „Standaufsicht” hat der 19-jährige Daniel Fenner, Jugendleiter, Kreis-, Bezirksmeister und Teilnehmer an Landesmeisterschaften. Diese Erfolge schützen auch ihn nicht vor dem Spott seiner Arbeitskollegen. „Na, läuft du demnächst auch Amok und kommst in die Berufsschule?” sticheln sie. „Das macht mich richtig wütend”, sagt Daniel, „die denken, wir ballern nur sinnlos rum.” Die wenigsten wüssten, welch hohe Konzentration diese Sportart verlangt.

Müsste der Vereinssport nach Winnenden nicht trotzdem neu überdacht werden, gerade die Jugendarbeit? Dürfen wirklich schon Zehnjährige im Umgang mit der Waffe trainiert werden, so dass sie wie Daniel mit 19 perfekte Schützen sind? Nein, Konsequenzen in eigener Sache lehnen die Schützenbrüder (und Schwestern) ab. „Wir schießen ja nicht auf Menschen, sondern nur auf Scheiben”, erklären sie.

Den Jugendlichen werde der verantwortungsvolle Umgang mit der Waffe beigebracht, sagt Sportleiter Sven van Bevern (31). „Wir bilden hier keine potenziellen Amokläufer aus.” Die Jugendleiter beobachteten ihre Schützlinge ganz genau. .„Ich frage sie auch, was zuhause los ist und ob es irgendwelche Probleme gibt. Hier kennt jeder jeden”, sagt Daniel Fenner – und wieder zischt eines der winzigen Bleigeschosse ins Ziel.

Nebenan, draußen auf der 50-Meter-Kleinkaliberanlage, wird derweil richtig scharf geschossen, nicht nur mit Druckluft. Michael Tietz (22), der Sohn der Vorsitzenden, feuert im Liegen auf die winzige Scheibe, die ein Laie kaum erkennt. Warum muss es Schießen sein, warum nicht einfach Fußball? Ihn reize es, welche Konzentration man für diesen Sport aufbringen müsse, um beständig gute Leistungen zu erbringen, sagt Michael, der es mit 17 schon zum Junioren-Kreismeister am Kleinkalibergewehr gebracht hat. „Beim Bund lernt man auch den genauen Umgang mit der Waffe”, sagt er, „und da schießt man sogar auf Menschensilhouetten”. Aber da ist man doch auch schon erwachsen? Wenn man erst mit 20 Sportschütze werde, könne dies nie olympische Disziplin sein, entgegnen die Vereinssportler.

Und kriminelle, durchgeknallte Einzeltäter, die sich irgendwie eine Waffe besorgen, werde es immer geben, egal, wie streng die Gesetze sind, meint Jörg Latoschewski (46), der durch seinen Sohn zum Schießsport fand. Der Sohnemann war bei den Ferienspielen der Stadt auf den Geschmack gekommen. Auch in diesem Sommer dürfen Wittener Kids wieder auf der Borbacher Schießanlage trainieren.

Dort wird Geselligkeit groß geschrieben. Gisela Maroni schmiert Mettbrötchen, Ehemann Alfred zapft. Die Luft ist rauch geschwängert, es darf gelacht und auch lauter gesprochen werden. „Ein guter Schütze”, sagt Jugendleiter Daniel, „lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen.”