Witten. . Bei 20 Grad treibt’s die Menschen aus dem Haus. Sie wissen, da stimmt wohl etwas nicht, genießen die Wärme aber trotzdem – mache sogar barfuß.
Moritz (25) hat die Barfuß-Saison eingeläutet. Mit nackten Füßen und Freundin Jelena (22) sitzt der Student auf der Schnecke am Berliner Platz und genießt die Sonne. Ja, er habe seine Schuhe tatsächlich zu Hause gelassen. Wie vergangenen Sonntag auch schon. Verrückte Welt. Sommer im Februar? Kann man die lauen Mittagstemperaturen überhaupt ohne schlechtes Gewissen genießen? Man kann, wie unser Rundgang durch die Stadt eindeutig zeigt – drohender Klimawandel hin oder her.
„Das Wetter lockt total nach draußen“, sagt Katharina. Die 31-Jährige hat sich kurzerhand ihre drei kleinen Mädels geschnappt. Raus aus der Wohnung. Rauf auf den Spielplatz. „Wir waren gerade im Voß’schen Garten, da hat sich meine Älteste schon die Strumpfhose ausgezogen.“ Auch Jalika (6) liebt’s also barfuß. Und Schwester Amina (2) wirft zumindest schon mal die Schuhe von sich. Nur die kleine Samira, ein halbes Jahr alt, verschläft die Sonne im Tragetuch vor Mamas Brust. „Wir haben gerade vier Wochen Erkältung hinter uns. Jetzt wieder an die Luft zu können, das ist eine Erlösung“, sagt Katharina, obwohl sie die Wärme auch irgendwie „merkwürdig“ findet.
Wärme löst Schub an Allergien aus
Ja, die Virusinfekte halten sich schon länger hartnäckig, bestätigt Dr. Frank Koch. Erfreulich sei dagegen die Zahl von bisher nur 40 Grippefällen im EN-Kreis. Die plötzlichen Temperaturunterschiede allerdings – mittags in der Sonne über 20 Grad, frühmorgens und nachts rund um den Gefrierpunkt – würden vor allem Kreislaufpatienten zu schaffen machen, so Koch. Er rät, was eigentlich immer und für alle gilt: „Ausreichend trinken.“ Natürlich bringe die Wärme auch wieder einen Schub von Allergien ans Tageslicht. Trotzdem findet der Arzt das Wetter „in erster Linie schön“.
So schön ist es, dass Emely (16), Laura (17) und Gloria (14) sich gleich nach Schulschluss bei Simonetti getroffen haben. Jetzt sitzen sie erwartungsvoll vor ihren ersten Eisbechern der „Saison“ und lassen sich Schoko und Stracciatella schmecken. Fast alle Tische hinten im sonnigen Außenbereich sind besetzt. Auch im Extrablatt haben sie inzwischen auf das schöne Wetter reagiert und am Dienstagmittag zum ersten Mal im Jahr die Tische wieder mitten auf den Berliner Platz gestellt. Gegen 15 Uhr, als die ersten Sonnenstrahlen um die Ecke blinzeln, sind die Plätze jenseits des Schattens gleich belegt.
Kurzer Abstecher zum Lutherpark. Hier toben Kinder auf dem Klettergerüst. Junge Leute liegen auf der Wiese, lesen oder machen Musik. Jan hockt in kurzer Hose auf einer Decke. Er hat seine Gitarre dabei und spielt gerade, passend zum sommerlichen Wetter, einen locker-leichten Song von Milow. „Ich habe heute einen freien Tag. Den muss man doch nutzen“, sagt der 23-Jährige. Die Wärme verwundert ihn nicht wirklich: „Wir hatten auch im Oktober und November solche Temperaturen. Und im April kann es ja auch nochmal schneien.“ Dass das mit dem Klimawandel zu tun haben könnte, sei ihm schon klar. Deshalb verhalte er sich auch relativ umweltbewusst.
Auch Moritz, der Mann ohne Schuhe, habe immer im Kopf, dass solch ein Wetter um diese Jahreszeit nicht normal sei. „Aber schön“, sagt er, „ist es trotzdem“. Auch am Mittwoch wird er wohl nochmal barfuß durch die Stadt laufen. Denn es soll ebenso sonnig und warm werden wie in den letzten Tagen.
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- Die Wärme dieser Tage wirkt sich auch auf die Tier- und Pflanzenwelt aus. Normalerweise, sagt Birgit Ehses von der Naturschutzgruppe Witten (Nawit), „stellen wir erst Mitte März die Warnschilder für die Krötenwanderung auf“. Jetzt soll das schon an diesem Wochenende geschehen. „Der Boden hat sich erwärmt. Die Tiere gehen bereits los.“
- Sollte es allerdings auch tagsüber nochmal richtig frostig werden, dann überleben die im Teich abgelegten Kaulquappen nicht.
- Auch die Insekten seien umtriebig. „Die Bienen machen schon ihre Behausungen sauber.“ Und einige Pflanzen treiben früher aus als sonst. Obwohl: Blühenden Huflattich, sonst als erster am Start, habe sie noch nicht gesehen. Dafür flitzen auf der warmen Mauer von Schloss Steinhausen 30 bis 40 Eidechsen herum.
- Birgit Ehses traut dem Wetter-Braten ansonsten nicht so ganz. Doch noch länger dürfe die trockene Periode nicht dauern. „Wir brauchen dringend Regen.“