Witten. . Nach dem Tod eines Syrers (18) durch einen Messerstich spricht der Angeklagte (24) von einem Unfall. Ein Zeuge widerspricht dieser Aussage.
Unter großem Zuschauerinteresse hat am Mittwoch der Prozess um den tödlichen Messerstich auf der Wittener Annenstraße begonnen. Ein Syrer (18) war am 8. April spätabends auf offener Straße erstochen worden. Wegen Totschlag und Körperverletzung muss sich ein 24-jähriger Deutscher seit gestern vor dem Schwurgericht verantworten.
Was passiert sei, tue ihm leid. „Ich würde alles dafür geben, wenn ich das Geschehen rückgängig machen könnte“, verlas einer seiner Anwälte eine Erklärung. Es handele sich um einen tragischen Unfall. Ihr Mandant will sich nur gewehrt haben. Er habe dem späteren Opfer in „Panik und Angst“ einen Stich in den Oberarm versetzen wollen.
Halsschlagader fast vollständig durchtrennt
Der 18-Jährige hätte den 24-Jährigen am Hals gepackt. Aus der Umklammerung habe er sich befreien wollen. Da das Opfer ihn aber am Hals nach hinten drückte, habe die Klinge aus Versehen den Hals des Mannes getroffen. Der Stich durchtrennte fast vollständig die Halsschlagader. Der Flüchtling verblutete sehr schnell. Die Tatwaffe, das Messer, wurde nie gefunden.
Junger Flüchtling lebte mit Brüdern in Witten
Der am 8. April auf der Annenstraße spätabends erstochene Syrer soll mit seinen Brüdern in Witten gelebt haben. Die Mutter selbst konnte nicht an der Beisetzung teilnehmen.
Der 18-jährige Ahmad besuchte die Overberg-Hauptschule und war äußerst beliebt.
Gestritten wurde offenbar um eine Flasche Wodka. Persönlich wollte sich der Angeklagte zum Prozessauftakt nicht äußern. Dafür sagte ein Schüler (18) aus, der den Flüchtling begleitet hatte. „Der Angeklagte und das Opfer standen sich gegenüber. Plötzlich machte der Mann eine Bewegung mit seinem rechten Arm und Ahmad blutete“, schilderte der Zeuge seine Sicht der Dinge. Eine Schubserei oder Schläge habe es vorher nicht gegeben. Der Mann habe grundlos zugestochen. Der Richter fragte mehrfach nach, weil sich zahlreiche Widersprüche zu früheren Aussagen des Zeugen ergaben.
Zeuge erlitt Stichverletzung am Bauch
Dieser erlitt selbst eine Stichverletzung am Unterbauch, die später im Marien-Hospital genäht wurde. In der Erklärung des Angeklagten heißt es, er habe nach dem tödlichen Messerstich kein zweites Mal auf jemanden eingestochen. Er habe unter Schock gestanden und sei sofort abgehauen.
Vor der Auseinandersetzung habe er mehrfach beschwichtigt und vorgeschlagen, wegzugehen – „bevor gleich was passiert“. Damit habe er nicht gemeint, dass er in irgendeiner Weise aktiv tätig werden würde, sondern dass sich das Geschehen unkontrolliert weiterentwickeln könnte.
Streit um Wodkaflasche
Fakt ist, dass am Tattag eine Gruppe von vier Ausländern mit einer anderen acht- oder neunköpfigen Gruppe aneinandergeriet. Letztere hatte eine Flasche Wodka und wollten am Kiosk auf der Annenstraße Cola kaufen. Die Flasche soll kurz darauf plötzlich verschwunden sein. Die Migranten wurden verdächtigt, sie gestohlen zu haben.
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Einer von ihnen telefonierte. Er soll „Haltet die Fresse!“ geschrien haben. Es folgte ein Streit mit Worten, bevor der Abend seinen verhängnisvollen Verlauf nahm.
Beisetzung unter großer Anteilnahme
Einen Tag nach der Bluttat auf der Annenstraße, die einen 18-jährigen Syrer das Leben kostete, hatte sich ein 24-jähriger Wittener den Behörden gestellt. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Zum Prozessauftakt wurde er am Mittwoch von Wachtmeistern vorgeführt.
Das Opfer war unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, darunter Mitschüler und Lehrer der Overbergschule, beigesetzt worden. Unter den Trauergästen war auch die Bürgermeisterin, die der Familie ihr Beileid aussprach.
Das 18 Jahre Opfer, ein Kriegsflüchtling, hatte am Tatabend angeblich nicht um Wodka gestritten, sondern nur gebeten, leiser zu sein. Die andere Gruppe von Männern hätte aus Boxen laute Rapmusik gehört. Das berichtete am Mittwoch ein Zeuge (18), der selbst eine Stichverletzung im Bauch davontrug. Er leide seitdem unter einer psychischen Beeinträchtigung. Die Verletzung selbst sei gut verheilt.
Prozess bis in November hinein terminiert
Die Stimmung sei bis zur gewalttätigen Eskalation gut gewesen. Ein Freund habe mit dem Handy telefoniert und der Lärm der Musik sei zu laut gewesen. Das war der Auslöser für den Streit, der sich zuspitzte, als eine Flasche Wodka weg war. Angeblich hatten die Männer sie vor dem Kiosk abgestellt, als sie Cola kaufen wollten. Als Diebe wurden dann die Syrer verdächtigt.
Dem Prozess, der bis in den November hinein terminiert ist, folgen viele Zuhörer. Auch ein Fernsehteam war erschienen. Die Anwältin des 18-jährigen Zeugen, der aufgrund seiner Verletzung 4850 Euro Schmerzensgeld fordert, tritt als Nebenklägerin auf.
Der Vorsitzende Richter ermahnte ihn mehrfach, genau zuzuhören und die gestellten Fragen zu beantworten. Er wies ihn auch auf Widersprüche hin.
Weitere Anwälte sind Nebenkläger und vertreten Familienangehörige des Opfers. Der Angeklagte erklärte sich mit der Begutachtung durch einen Mediziner einverstanden. Zur Tatzeit will er unter Drogeneinfluss gestanden habe. So habe er damals drei Gramm Kokain täglich konsumiert und etwa fünf Flaschen Bier getrunken. Der Prozess geht am Freitag weiter (9 Uhr,Saal Am 0.10, Landgericht Bochum).