Witten. Vielen Wittener dürfte der bärtige Mann am Bahnhof oder in der Stadtgalerie schon aufgefallen sein. Bernd (54) schläft seit zwei Monaten draußen.

  • Obdachloser Wittener will in keine Notunterkunft und schläft immer draußen
  • In der Stadtgalerie, wo er in der warmen Ladenpassage übernachtete, hat er jetzt Hausverbot
  • „Steffi hilft“ hat Fall öffentlich gemacht. Caritas will Wohnplatz bei Bethel in Gevelsberg vermitteln

Eine Netto-Tasche voller Sachen, zwei weitere Gepäckstücke, eine Decke – das ist Bernds ganzes Hab und Gut. Der 54-Jährige sitzt in einer Ecke am Seiteneingang der Stadtgalerie. Seit acht Wochen lebt er auf der Straße.

Es kommt relativ selten vor, dass man in Witten Obdachlose sieht, die wirklich draußen leben, noch dazu im Winter. Am Montag war es zwar schon tagsüber ziemlich frühlingshaft. Doch die Nächte werden immer noch kalt. Den wärmsten Schlafplatz, den sich Bernd zuletzt gesucht hat, war die als Durchgang geöffnete Passage der Stadtgalerie. Doch morgens erschienen der Hausmeister und ein Polizist. Seitdem habe er Hausverbot, sagt Bernd. Er muss sich ein neues Lager suchen.

„Steffi hilft“ machte Fall bei Facebook öffentlich

„Steffi hilft“ hatte den Fall auf Facebook öffentlich gemacht. „Ein Obdachloser namens Bernd, der seit Wochen am Bahnhof lebt und dort wie in der Galerie vertrieben wird. Den man schlafend ins Gesicht tritt, mit ätzender Flüssigkeit begießt...“, schreibt die Wittenerin Stefanie Charlotte Neto Mendonca, die sich um Menschen und Tiere kümmert, auf ihrer Seite im sozialen Netzwerk. „Traurig, dass Menschen sich gestört fühlen, wenn ein Mensch einen sicheren Ort und Wärme sucht.“

Tagsüber wird Bernd aus seiner Ecke vor der Tür aber nicht vertrieben, und es gibt auch Geschäftsleute und Kunden, die helfen: mit ein wenig Geld, einem heíßen Kaffee, etwas zu essen. In der Notunterkunft „In der Mark“, in die Steffi den Obdachlosen brachte, wollte Bernd nicht bleiben. „Da bleibe ich lieber auf der Straße.“ Sie sei ihm zu dreckig. Auch die Angst vor Diebstählen ist immer präsent. „Leute, die ich kannte, haben mir angeboten, auf ihrer Couch zu schlafen. Am Ende war mein Portmonee weg“, sagt der bärtige Mann und fragt nach einer Zigarette.

Sozialarbeiter organisiert ärztliche Hilfe und sucht einen Platz zum Wohnen

Michael Raddatz (50) von der Caritas will nun ein Ärzte-Mobil für Obdachlose vorbeischicken und außerdem versuchen, ob sich ein Platz in einem Haus von „Bethel“ in Gevelsberg organisieren lässt. Bernd ist nicht gegen Hilfe immun und weiß, dass er die Härte der Straße nicht allzulange gesundheitlich durchhalten kann. Tatsächlich habe man ihn im Schlaf schon getreten und eine ätzende Flüssigkeit auf die Haut geschüttet. „Als ich wach wurde, brannte meine ganze Hand.“ Jetzt trägt er einen dreckigen Verband.

Bernd ist aus seiner Wohnung geflogen, weil er keine Miete mehr gezahlt hat. Dabei hatte er mal so etwas wie ein normales leben: Kfz-Schlosser gelernt, später in einer Härterei gearbeitet, dann elf Jahre Pilkington. Verheiratet war er, zwei Kinder hat er. Was genau schief lief? Für seine Lebensgeschichte bräuchte es mehr als einen Kaffee.

Flüchtlingskrise verschärft Wohnungsproblem

Bernd ist kein Einzelfall. Es komme immer mal wieder vor, dass Menschen auf der Straße landeten, sagt Sozialarbeiter Michael Raddatz. Doch dass sie dort bleiben, erlebe man öfter eher in benachbarten Metropolen wie Dortmund. Witten könne jedem helfen, sei es mit einem Platz in einer Notunterkunft (In der Mark, am Mühlengraben) oder im Idealfall sogar mit einer Wohnung.

Dass es aber nicht leichter geworden ist, eigene vier Wände zu vermitteln, bestätigt Rolf Ellmer von der Wohnungslosenberatung der Diakonie Mark-Ruhr. Auch die Flüchtlingskrise habe dieses Problem noch verschärft.

Wieder werfen ein paar Passanten einige Cents in das schwarze Käppi, das vor Bernd am Eingang der Stadtgalerie liegt. „Ich habe mein Leben gehabt“, sagt der Mann, als er von früher erzählt. Dabei kommen ihm die Tränen.