Witten. Für Milliarden Euro müssen bundesweit marode Abwasserkanäle saniert werden. Allein die Stadt Witten investiert pro Jahr sechs Millionen Euro. Witten war seinerzeit neben Hamburg die erste Stadt, die mit dem Inliner-Verfahren das Problem kostengünstiger anging.

Unter vielen deutschen Städten ticken Zeitbomben. Auf 180 Milliarden DM wurde bereits in den 1980er Jahren der bundesweite Sanierungsbedarf bei den Entwässerungskanälen geschätzt. Witten war damals neben Hamburg die erste Stadt, die mit dem Inliner-Verfahren (neues Rohr in altem Rohr) kostengünstiger das Problem anging. Und wie sieht's heute mit unseren Kanälen aus?

"Witten hat 370 Kilometer Abwasserkanäle”, erzählt Rudolf Grothaus, Technischer Leiter Entwässerung der Stadt Witten (ESW). „Weil solch ein Kanal im Schnitt eine Lebensdauer von etwa 80 Jahren hat, ersetzen wir vier bis fünf Kilometer jährlich, um die Substanz zu erhalten. Dafür investieren wir fünf bis sechs Millionen Euro pro Jahr.”

Betonrohre sind vielerorts die Problemkinder

Zu den großen Arbeiten der letzten Jahre zählten die Mischwasser-Kanäle unter dem Bodenborn und der Sprockhöveler Staße, die jeweils mehrere Millionen Euro kosteten. Ein aktuelles Großprojekt ist die Erneuerung des Kanals längs des Ruhrdeichs, unter andwerem ist dessen Rohr-Querschnitt nicht mehr ausreichend.

Grothaus: „Unsere Problemkinder sind die Betonrohre, die in der Nachkriegszeit verlegt wurden. Sie waren von mäßiger Qualität. Kein Vergleich also zu den Betonrohren der letzten Jahre. Und auch die Steinzeugrohre aus den 1920er Jahren waren übrigens von guter Qualität.”

Bruno Chwastek ist seit 25 Jahren in der Abwassertechnischen Vereinigung

Nicht zuletzt durch seine Inliner-Kentnisse wurde Bruno Chwastek in die Abwassertechnische Vereinigung (ATV) in Hennef berufen, der er seit 25 Jahren angehört.

In ATV-Gremien entwickelte er u. a. die Kanalzustandsbewertung mit. Die stufte laut DIN-Norm fünf Prozent aller deutschlandweit untersuchten Abwässerkanäle als sofort zu sanierend ein (Kosten: etwa drei Milliarden Euro). Laut der heute geltenden Europa-Norm sollte der Anteil der Sofortmaßnahmen sogar auf 25 Prozent erhöht werden, was für die Städte eine Kostenexplosion bedeutet hätte. Doch das konnte u. a. durch Chwasteks Einspruch als ATV-Mitglied verhindert werden (es bleibt also bei fünf Prozent). Chwastek mahnt: „Es gibt zu viele Vertreter der Industrie in den Gremien, die die Sanierungskosten für die Städte in die Höhe treiben wollen. Man kann nur an die Städte appellieren, dass sie versuchen, ihre Vertreter in Entscheidungsgremien zu bekommen.”

Einen Super-Gau in Sachen Sanierungskosten erwartet Grothaus nicht: „Wir fahren jedes Jahr 40 bis 50 Kanalkilometer mit der Kamera ab, um den Zustand zu überprüfen. Sofortmaßnahmen der Schadensklasse 0, in denen zum Beispiel ein Kanal einzustürzen droht, haben wir keine. Und dringende Maßnahmen der Schadensklasse 1, bei denen in den nächsten ein bis zwei Jahren saniert werden muss, belaufen sich auf etwa ein bis zwei Kanalkilometer.”

Sanierung von 370 Kilometer Abwasserkanälen

Überdies verweist Grothaus darauf, dass in vielen Fällen nicht gleich der ganze Kanal saniert werden müsse, sondern Probleme „punktuell” aufträten und durch moderne Techniken gelöst würden.

Damals eine echte Neuerung war auch jenes Inliner-Verfahren, das inzwischen weiterentwickelt wurde. Der Tiefbauamtsleiter Bruno Chwastek, der bis 1989 gleichzeitig Abteilungsleiter der Stadtentwässerung war, führte es seinerzeitn in Witten ein. „Inliner muss man sich wie einen Strumpf vorstellen, der ins alte Rohr eingespült wird, bis er anliegt und dann bei 80 Grad aushärtet”, beschreibt Chwastek.

Und er erinnert sich: „So haben wir bereits in den 80er Jahren für 500 000 DM den Kanal im Gehweg der Hörder Straße saniert. Ein neuer Kanal hätte eine Million gekostet, die Umlegung der Versorgungsleitungen nochmal 1,5 Millionen. Und es musste kein Boden abgefahren, der Verkehr nicht gesperrt werden.”

Durch das Inliner-Verfahren, bei dem heute auch flexible Kunststoffrohre in alte Rohrsysteme eingeführt werden, sparte die Stadt Millionen. Allein in den 90er Jahren seien fünf Kilometer Inliner gezogen worden, so Chwastek. Er schätzt: „Eine Million Euro pro Kilometer kostet ein neuer Kanal, durch Inliner wird im Regelfall etwa die Hälfte eingespart.” „Und in diesem Jahr haben wir bereits knapp einen Kilometer Inliner gezogen”, ergänzt Grothaus. „Allerdings macht dieses System nur Sinn, wenn der alte Rohr-Durchschnitt groß genug war, denn dadurch wird er ja noch etwas geringer.”

Aber letztlich ist die Sanierung von 370 Kilometern Abwasserkanälen wohl eine unendliche Geschichte.