Wattenscheid. Gemeinsam wollen stark Übergewichtige in einer Adipositas-Selbsthilfegruppe ihre Probleme - und ihr Gewicht - anpacken.

Fettleibig ist die Frau, die zum Interview in die Redaktion kommt, entgegen aller Erwartungen nicht. Christel Moll, Vorsitzende des Adipositas Verbands Deutschland und Gründerin der neuen Wattenscheider Adipositas-Selbsthilfegruppe, würde man vielleicht als „kräftig” bezeichnen.

Das war mal ganz anders. 145 Kilo brachte die 50-Jährige einst auf die Waage. „Ich habe in meinem Leben mein komplettes Gewicht mehrfach ab- und wieder zugenommen”, blickt sie auf Crash-Diäten und den anschließenden Jojo-Effekt zurück. Ihre Rettung: ein Magenband, das ihr vor vier Jahren operativ eingesetzt wurde. 50 Kilo hat Christel Moll so abgenommen, hält seitdem ihr neues Gewicht.

Zum ersten Treffen kamen 18 Betroffene

Allerdings ist sie überzeugt: „Hätte es früher schon strukturierte Möglichkeiten zur Gewichtsreduzierung im Verbund mit Ärzten, Ernährungsberatern und Bewegungstherapie gegeben, wäre es gar nicht so weit gekommen.” Dieses so genannte „Multimodale Konzept” möchte sie anderen Betroffenen in der Selbsthilfegruppe nahebringen – und hat mit der Gründung offenbar einen Nerv in Wattenscheid getroffen: Gleich zum ersten Treffen im September kamen 18 Betroffene. „Und das wird noch mehr werden”, prophezeit Christel Moll.

„Unser Ziel ist es, dass die Leute sich gegenseitig unterstützen. Es geht darum, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und sie zu motivieren, sich selbst zu helfen.” Auch beim Abnehmen. Christel Moll weiß aus Erfahrung: „Das Problem bei Adipositas ist, dass viele Betroffene sich aus dem normalen Leben zurückziehen und nur noch das tun, was sie unbedingt müssen. Und letztlich noch mehr essen.” In der Gruppe treffen sie auf Verständnis, das ihnen sonst eher selten entgegen gebracht wird. „Da wird verstanden, warum jemand sich nicht traut, in die Eisdiele zu gehen: Weil andere denken könnten, der hat's gerade nötig, noch Eis zu essen – und weil man nicht auf die Stühle passt.”

Ärzte haben oft kein Verständnis

Oft ginge es in den Erzählungen auch um Arzterlebnisse: „Viele Ärzte haben kein Verständnis und raten einem gleich, zu den Weight Watchers zu gehen”, weiß Christel Moll. Das sei für Fettleibige aber keine Option: „Ab einem Body-Mass-Index von 40 bringt das Punktezählen nichts mehr – weil die Leute von den Lebensmitteln, die nicht angerechnet werden, so viel essen, dass sie gar nicht abnehmen können.”

Hier setze die Gruppe an – denn helfen könne nur eine Kombination aus Ernährungsumstellung, Bewegung und Verhaltenstherapie. Christel Moll bringt es auf den Punkt: „Ich brauche niemanden, der mir sagt, wie viele Kalorien eine Bratwurst hat – das weiß ich selbst –, sondern der mir sagt, wo meine falschen Gewohnheiten sind und wie ich sie ändern kann.” Außerdem müsse man abklären, ob es sich um eine krankhafte Essstörung oder „nur” um falsches Verhalten handele.

Keine Frage der Selbstkontrolle

Adipositas (Fettleibigkeit) ist eine anerkannte chronische Erkrankung.

Es handelt sich nicht einfach um eine Frage der Selbstkontrolle, sondern um eine komplexe Störung von Appetitregulierung und Energiestoffwechsel. Die Selbsthilfegruppe trifft sich wieder am Dienstag, 17. November, um 19 Uhr in der Krankenpflegeschule des Martin-Luther-Krankenhauses. Info: www.adipositasverband.de

„Wenn alle drei Komponenten gleichzeitig laufen”, weiß Christel Moll, „gibt es sehr gute Erfolge.” Das Problem sei, „dass es keine Kliniken oder Praxen gibt, die das als Komplettpaket anbieten. Und solange es die noch nicht gibt, ist das die Aufgabe von Selbsthilfegruppen.” In Sachen Bewegung ist die Gruppe bereits aktiv: Die Mitglieder nehmen an einem Reha-Sportkurs im Martin-Luther-Krankenhaus teil und gehen sogar gemeinsam zum Schwimmen, was sich alleine niemand trauen würde. „Aber”, so Christel Moll, „in der Gruppe ist man stark.”