Wattenscheid. Anwohner sprechen schon von einer „Schmuddelmeile“: Die Hochstraße in Wattenscheid bereitet Sorgen. Vor allem auf einem Abschnitt geht es bergab.
„Leider mussten auch wir, nach 23 Jahren, unser Gewerbe abmelden“, informiert Familie Würger über die Schließung ihres Sanitätshauses. Der Aushang vom Januar hängt noch im verwaisten Geschäftslokal, Hausnummer 44. Die WAZ hat nachgezählt: Es ist der aktuell 16. Leerstand auf der Hochstraße. Die Wohn- und Geschäftsstraße am Rande der Innenstadt bietet zwischen Otto-Brenner- und Bochumer Straße ein trauriges Bild. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, sagt Bezirksbürgermeister Hans-Peter Herzog (SPD).
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„Die obere Hochstraße droht zum Schmuddelkind von Wattenscheid-Mitte zu werden“: So hieß es bereits 2009 in dieser Zeitung. Besser geworden ist: nichts. Während sich die Hochstraße ab dem August-Bebel-Platz als quirliges, migrantisch geprägtes Geschäftszentrum zeigt, herrscht ab dem (seit 2022 ebenfalls leerstehenden) Postgebäude weitgehend Tristesse. Beim WAZ-Rundgang am Montagvormittag sind kaum Passanten zu sehen. Schaufenster sind abgeklebt, Rollläden seit einer scheinbaren Ewigkeit heruntergelassen, Fassaden verwittert, Klingeln und Briefkästen mit Graffiti besprüht.
Sorgen um die Hochstraße: Bezirksbürgermeister erkennt „Domino-Effekt“
Von einem „Domino-Effekt“ spricht Hans-Peter Herzog. Die Schließung größerer, für das Viertel bedeutender Geschäfte wie Möbel Dönninghaus oder Metzger Müller hätten zur Aufgabe weiterer Ladenlokale geführt. Manche wurden zu Wohnungen umgebaut. Für die meisten Geschäfte indes seien keine neuen Pächter zu finden. Mitunter seit Jahren.
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Ja, es gebe Lichtblicke, konstatiert der Bezirksbürgermeister. Den Kulturtreff Wiesmann’s und die letzte geöffnete Gaststätte Bürgerkrug zählt er dazu, ebenso die Wiederbelebung des einstigen Möbelhauses mit Obst, Gemüse und Wohnzubehör. Doch von einer nachhaltigen Erholung ist keine Spur. „Die untere Hochstraße profitiert noch als verlängerte Innenstadt. Dieser Effekt wird mit dem Umbau des Bebel-Platzes nochmals zunehmen“, glaubt Herzog. Die obere Hochstraße indes müsse als eigenständiges Nebenzentrum funktionieren. „Und das tut sie in keiner Weise.“
Studentisches Leben könnte das Viertel positiv wandeln
Kurzfristig erkennt der Kommunalpolitiker keinen Ausweg. Stadt und Politik hätten die bestmöglichen Rahmenbedingungen geschaffen: mit Zuschüssen aus dem Fassadenprogramm oder der Option, über das „Sofortprogramm Innenstadt“ die Mieten für bis zu zwei Jahre auf 20 Prozent zu reduzieren. Genutzt habe es für weite Teile der Hochstraße „wenig bis nichts. Und auf gewerbliche Entscheidungen haben wir keinen Einfluss“.
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Mittel- bis langfristig sieht Herzog gleichwohl eine Chance. Wie etwa in Hamme, könnte es auch auf der Hochstraße gelingen, studentisches Leben einziehen zu lassen. „Die Mieten sind vergleichsweise niedrig. Ich weiß, dass deshalb hier schon einige Studierende leben. Könnten wir das ausbauen, hätte das auch einen positiven Einfluss auf Handel und Gastronomie.“
Stadt verweist auf Förderprogramme
Die Stadt nimmt auf WAZ-Anfrage eine Dreiteilung der Hochstraße vor. Der Abschnitt zwischen August-Bebel-Platz und Swidbertstraße sei Teil der Wattenscheider City: ohne Leerstände, mit hoher Kunden- und Passantenfrequenz. Auf dem mittleren Teil bis zur Sedanstraße habe sich mit dem WAT Werk e.V. in der Kulturkneipe Wiesmann´s ein wichtiger Anker der kulturellen Entwicklung angesiedelt. Ein Burgerladen sei der länger leerstehenden Pizzeria nachgefolgt; mehrere Streetart-Kunstwerke seien entstanden.
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Im östlichen Bereich hingegen verzeichnet die Stadt einen „vermehrten strukturellen Leerstand, insbesondere in den Ladenlokalen der Erdgeschosszonen. Diese Entwicklung ist vielerorts zu beobachten und ist unter anderem auf verändertes Kauf- und Konsumverhalten zurückzuführen“, heißt es. Die Möglichkeiten der öffentlichen Hand beschränkten sich auf den Stadterneuerungsprozess: etwa mit mehr Grünanlagen sowie dem Fassaden- und Hofprogramm.
Anwohner warnt: „Das ist echt ‘ne Schmuddelmeile geworden“
Andreas R., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, warnt vor einem fortschreitenden Niedergang. Seit Anfang der 1980er Jahre wohnt er auf der Hochstraße. „Wenn das hier so weitergeht“, sagte er am Montag beim WAZ-Rundgang, „ziehen nicht nur immer mehr Geschäfte, sondern auch viele weitere langjährige Mieter weg. Das ist echt ‘ne Schmuddelmeile geworden.“