Wattenscheid-Südfeldmark. Die Sparzwänge des Diakonischen Werks bringen die Einrichtung an der Sommerdellenstraße in Not. Seit 26 Jahren besteht hier der Treffpunkt.
„Im Moment maximal 24“, erklärt Heike Lorenz, die Einrichtungsleiterin, mehr Gäste dürfen es unter Corona-Diktat nicht sein. Zwölf Tische stehen mehr als locker verteilt in dem Zentrum an der Sommerdellenstraße, in dem die Diakonie den Mittagstisch für Obdachlose anbietet. „Es sind aber auch schon mal 30“, sagt sie, und Sozialarbeiter Norbert Stumm wirft ein „oder 50“.
Wohnungslose und vom Verlust der Wohnung Gefährdete sind vorrangig angesprochen, „aber wir fragen nicht nach“, meint Lorenz kopfschüttelnd. Immer mehr Menschen in psychischen Notlagen oder „bei denen man sieht, wie wenig Geld da ist“, nutzen die Anlaufstelle.
Immer mehr Menschen in Bochum suchen die Anlaufstelle
„Beratung, Begegnung und Versorgung“ sind die Grundpfeiler, es gibt Frühstück und Mittagessen für die Gäste, sie können sich duschen und Wäsche waschen. Noch, denn auch das evangelische Diakoniewerk spürt die sinkenden Steuereinnahmen durch die Kirchenaustritte und den demoskopischen Wandel.
Mietvertrag ist schon gekündigt
Um die sechs Monate Frist einzuhalten, hat die Diakonie im Kirchenkreis Gelsenkirchen/Wattenscheid den Vertrag zum 1. Juli gekündigt. Gemeinsam mit der Sozialverwaltung wird nach Möglichkeiten gesucht, den Mittagstisch zu erhalten und fortzuführen. „Das ist für den Sozialraum Wattenscheid dringend notwendig“, unterstreicht Heike Lorenz, die die Politik und die Sozialverwaltung hinter sich weiß. Allerdings ist auch klar, dass die Stadt keine Möglichkeit sieht, für die Kosten einzuspringen.
So setzen unter dem enormen Druck alle Beteiligten auf den Landschaftsverband, der angesprochen worden ist. Immerhin sorgt hier an der Sommerdelle auch der Verein der Aufsuchenden Medizinischen Hilfe für die Erstversorgung der Menschen, die oft keine Krankenversicherung haben. Oder kein Geld für Rezeptanteile. Oder sich nicht zu niedergelassenen Ärzten trauen. Hier gibt es eine regelmäßige Sprechstunde. Der Internist, der die zuvor übernahm, ist mit knapp 90 Jahren ausgeschieden.
Erinnerung an die Swidbertstraße
„Die Ausnahme ist hier die Regel“, fasst Lorenz zusammen, denn hier gibt es auch eine Mini-Kleiderkammer, aber die Kollegen vom Roten Kreuz nebenan helfen auch aus ihrem Fundus. Und die Küche des nahen Martin-Luther-Krankenhauses kann auch Mahlzeiten zur Verfügung stellen, obwohl hier selbst gekocht wird. In der Küche schnippeln Irmgard Rath-Kluge (links) und Claudia Lopatniuk schon eine ganze Zeit für die ersten Gäste, die ab 10 Uhr erwartet werden, die meisten kennen sie schon länger. Sechs Frauen stemmen die freiwillige, ehrenamtliche Last, sonst waren es auch schon zehn. „Von denen sind auch schon viele mit uns alt geworden“, meint Heike Lorenz schmunzelnd.
26 Jahre ist der Mittagstisch etabliert, bis 2015 war er im ehemaligen Gesundheitsamt an der Swidbertstraße untergebracht. Die Erinnerung lässt die Helfer mit den Augen rollen. „Wenn da die Waschmaschinen lief, hatten wir Angst, die bricht durch die Decke eine Etage tiefer durch“, beschreiben sie.
Der erste Hilferuf in 26 Jahren
Unterstützer willkommen
Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind beim Wattenscheider Mittagstisch im Zentrum an der Sommerdellenstraße dringend gesucht und willkommen.
Informationen gibt Sozialarbeiter Norbert Stumm, 02327 23862, stumm@meindediakonie.de
Die Zahl der Wohnungslosen wird auf 900 geschätzt.
Und jetzt, ja, jetzt ist es das erste Mal in den 26 Jahren, dass ein Hilferuf an die Stadt geht. Die Räume hier sind für den Mittagstisch XXL, aber zentral gelegen für Wattenscheid, „super“ sagen sie alle. Bei den Blutspendeaktionen des Roten Kreuzes stellt die Diakonie natürlich die angemieteten Räume zur Verfügung - Nachbarschaftshilfe.
Lorenz räumt ein, die Einrichtung an der Henriettenstraße zahle keine Miete an die Stadt, und beim Umzug von der Swidbertstraße fielen sogar zehn Notschlafplätze weg. Ein Problem für sich, denn seitdem müssten Obdachlose zweimal umsteigen, um mit Bus und Bahn das Fliednerhaus zu erreichen.
Hoffnung auf Unterstützung des LWL
„Das ist ein bisschen wie Familie hier“, sagen die beiden Helferinnen in der Küche, „und die Gäste sind unheimlich dankbar, die haben hohe Achtung vor uns.“
Norbert Stumm fasst zusammen, wie sich die Schicksale langsam verstehen und beschreiben lassen, wenn die Menschen öfter kommen. „Irgendwann redet man. Vielleicht. Oder auch nicht“, denn keiner wird gedrängt.
Mit einem Dringlichkeitsantrag setzen sich SPD und Grüne in der Sitzung des Sozialausschusses heute (22.) um 15 Uhr im großen Saal des Rathauses für die Fortführung des Mittagstisches durch die Diakonie ein. Bürgermeisterin Gaby Schäfer (SPD) erläutert: „Wir müssen jetzt Pflöcke setzen.“