Wattenscheid. Der Fund von Granaten und einer Bombe in Wattenscheid zeigt: Die schrecklichen Kriegs-Erlebnisse wirken noch immer nach.
Ihre Gesichter spiegeln jungenhafte Züge, mancher von ihnen wirkt in der Uniform der Luftwaffe beinahe erwachsen: Flakhelfer, von der Schulbank weg rekrutiert, eingesetzt im 2. Weltkrieg in der Stellung in Westenfeld.
„Ein Leid, um das sich niemand gekümmert hat“, sagt ein Anwohner (85), evakuiert wegen der Entschärfung von zehn Granaten am Schumannweg am Mittwoch. „Viele reden derzeit von den weltweiten Kriegsopfern, sicher ganz schlimm! Damals waren wir auf uns allein gestellt, niemand hat geholfen. Ganz zu schweigen von den Flüchtlingen aus Ostdeutschland. Die Lage war katastrophal – für Kinder und Erwachsene. Wir mussten selbst klarkommen, und haben es geschafft, indem wir nach 1945 die Ärmel aufgekrempelt und nicht rumgejammert haben.“ Hunderte starben in Wattenscheid durch den alliierten Luftkrieg, Tausende wurden ausgebombt.
Viele Tote
Es war die ehemalige Flakstellung im Bereich des heutigen Germanenviertels, die jetzt schlagartig den gewohnten Tagesablauf vieler Bürger auf den Kopf gestellt hat: Bei Bauarbeiten tauchten letzte Woche Relikte auf, die seit Kriegsende im Boden schlummerten. Zehn Sprengkörper machten Feuerwerker des Kampfmittelräumdienstes unschädlich. Granaten aus dem Bestand der Stellung, die zur Abwehr alliierter Bomber und Jagdflugzeuge im Bereich Lohackerstraße, Schumannweg und Westenfelder Straße eingerichtet wurde. Flak (Flugabwehrkanone) war auch in Wattenscheid an strategischen Punkten stationiert, u.a. wegen Krupp.
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Zahlreiche Helfer
Auch in Günnigfeld und Leithe im Umfeld der Brennerei Schulte-Kemna richteten sich die Geschütze drohend gen Himmel. Diese Flugabwehr stand damals im Rang einer sogenannten Großkampfbatterie. Ausgerüstet mit Geschützen verschiedener Kaliber, Scheinwerfern und Funkmessgeräten (so damals die deutsche Bezeichnung für Radartechnik). 250 Luftwaffenhelfer waren dort im Einsatz, zur Unterstützung der regulären Soldaten. Einer dieser Flakhelfer hieß Arnold Schellhoff, gebürtiger Wattenscheider und im Februar 1943 von der Schulbank weg an die viel beschworene Heimatfront versetzt.
Da war der Schüler gerade 15. Von ihm stammen auch die Aufnahmen der Flakbatterie in Westenfeld. Diese raren Zeitdokumente stellte Schellhoff der Wattenscheider Zeitung in einem Interview zur Verfügung, das er der Redaktion im Jahr 1995 gab. Anlass war das Ende des Krieges in der Alten Freiheit vor 50 Jahren. Schellhoff übernahm während seines Dienstes die Funktion eines Lagermannschaftsführers. Und er dokumentierte nicht nur das harte Leben blutjunger Menschen in einer Extremsituation.
Junge Menschen
Der junge Luftwaffenhelfer fotografierte auch das Wrack eines britischen schweren Lancaster-Bombers, abgeschossen von Geschützen der Westenfelder Batterie. Es war nicht das einzige Flugzeug, das von den Kanonen in Westenfeld getroffen wurde. Dies belegen die weißen Markierungen an den Läufen der Rohre, Abschussringe genannt.
Die großangelegte Stellung in Westenfeld blieb den Fliegern der Amerikaner und Engländer nicht verborgen. Luftaufnahmen belegen dies, kürzlich präsentiert von Stadtarchivar Andreas Halwer im Rahmen eines Vortrags zum Kriegsende vor 75 Jahren. Beim Einmarsch der US-Truppen im April 1945 regte sich seitens der Flakabteilung in Westenfeld kein Widerstand mehr. Die Stellung war längst geräumt.