Marl. . Uwe Schulz gehört zu den letzten Malochern im Revier: Der Dortmunder Bergmann hat auf fünf Zechen gearbeitet. In dem Marler Bergwerk Auguste Victoria wird er 2018 zu jenen gehören, die das Kapitel Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet beenden.
Auguste Victoria wird zur Attraktion. Immer mehr Besuchergruppen zählt Thomas Dümmermann von der Ruhrkohle AG. „AV“, wie die Auguste genannt wird, zieht die Menschen an, seit es mit ihr zu Ende geht. 2018 ist Schicht am Schacht. Dann wird niemand mehr Männer wie Uwe Schulz (47) bei der Arbeit sehen können. Der Bergmann kennt seine Zukunft: „Ich blicke Richtung Vorruhestand.“
Warum sind sich die letzten Malocher im Revier eigentlich so ähnlich? Die, deren Geschichten hier schon erzählt wurden – Holger Ries von ThyssenKrupp und Dirk Schneider, der Straßenbauer von Heitkamp. Und nun Uwe Schulz, Ruhrkohle AG. Sie alle könnten jammern, sie haben drei Jahrzehnte durchmalocht. Und dennoch strahlen diese Männer wie einst der Ofen bei Karl Hoesch in Dortmund. Uwe Schulz, staubschwarze Haut und weiße Zähne, lacht von Ohrläppchen zu Ohrläppchen. Dabei kommt er gerade aus dem Berg. „Frühschicht“, sagt er, „bin um fünf Uhr eingefahren. Wie immer.“
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Uwe Schulz kennt sich aus, über und unter dem Ruhrgebiet: Bergmechaniker-Lehre auf „Zollern“, dann „Minister Stein“, „Ewald“, „Haus Aden“, schließlich „AV“, Auguste Victoria, die Endstation, weit weg von Zuhause. Einst lebten die Bergleute noch in trauter Nachbarschaft. „Ich bin so ein Koloniekind“, sagt Thomas Dümmermann, der Mann, der die Besuchergruppen durch „AV“ führt. „Koloniekind“ ist wie ein Ehrentitel für ihn. Ein Wort aus einer anderen Zeit von Menschen aus einer anderen Zeit. Koloniekinder, ja, die gab’s mal.
Bergleute sind mittlerweile Berufspendler
Draußen, auf dem Parkplatz vor Auguste Victoria, sieht jeder auf den ersten Blick, dass die „Koloniekinder“ zu Berufspendlern wurden. Da stehen Autos aus Hamm, Dortmund, Gelsenkirchen, Unna, Mülheim, Herne und Wesel vor einer Zeche in Marl. Uwe Schulz erzählt die Geschichte dazu: „Früher fuhren die Bergleute mit dem Rad zur Schicht, heute geht’s nur mit dem Auto. „Ich fahre jeden Morgen aus Dortmund die 45 Kilometer hierher. Stehe morgens um drei auf und gehe abends um 8 ins Bett.“ Kumpel-Leben anno 2012.
„Abbaukind“ nennt sich Uwe Schulz. 30 Jahre Arbeit im Berg, bis zu 1,2 Kilometer tief in der Erde, haben den Mann beruflich reifen lassen bis zum Aufsichtshauer.
Schulz ist ein Mannschaftsspieler
Der Kumpel in der Endzeit des Kohlebergbaus hat es leichter als seine Kollegen in den 60er-, 70er- oder 80er-Jahre. Es ist warm im Berg, aber nicht unerträglich heiß. Die Lunge vergeht nicht mehr im Staub, Hacke und Panne (Schaufel) gehören zum alten Eisen. 16 Meter Weg pro Minute schafft eine moderne Walze. RAG-Sprecher Thomas Dümmermann wird ganz flau bei dem Gedanken, dass mit dem Ende des Bergbaus auch diese einzigartige Technologie, die das Ruhrgebiet hervorbringt, verschütt gehen könnte. Gänzlich ungefährlich ist die Maloche im Berg trotz Arbeitsschutz indes noch immer nicht. Im Mai starb ein Kumpel von der Zeche Prosper Haniel unter Tage, erschlagen von einem herabfallenden Steinkohlebrocken.
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Schulz ist, wie alle Kumpel, ein Mannschaftsspieler. „Wir sind acht Mann. Man kennt sich. Die Stärken und Schwächen, jedes Wehwehchen. Der Jüngste ist 31 und ich bin einer der Ältesten. Der Altersschnitt bei „AV“ liegt bei 42. Viel Nachwuchs gibt es ja nicht mehr auf der Zeche, die Belegschaft wird älter.
Schulz hätte einen anderen Weg einschlagen können als junger Mann. „Ich hatte zwei Optionen: Bergmann werden oder im Opel-Werk anfangen.“ Wie es dem Bergbau erging und den Opelanern, ist bekannt. „Ich weiß ja, was in Bochum los ist, das liegt bei mir gleich um die Ecke“, meint Schulz. Er habe sich damals richtig entschieden, findet er. Nach einem harten Arbeitsleben wird er vergleichsweise weich fallen: in den Vorruhestand. Glückauf.
Der Niedergang des Bergbaus
Vor rund 55 Jahren begann der Niedergang des Kohleergbaus im Ruhrgebiet. Die Region steckte ab 1958 tief in der Montankrise, in Mülheim, Bochum und Duisburg „starben“ damals die ersten Zechen. Innerhalb von nur zehn Jahren halbierte sich die Zahl der Zechen und Kumpel.
Arbeiten in Zeche Zollern
Die Steinkohleförderung sank zwischen 1957 und 2010 von 123 Millionen Tonnen/Jahr auf zehn Millionen Tonnen. 400 000 Beschäftigte zählte der Bergbau Mitte der 50er-Jahre.
Heute gibt es im Ruhrgebiet noch Bergbau bei Prosper-Haniel (Bottrop), 4000 Beschäftigte, und Auguste Victoria (Marl), 3700 Beschäftigte. Das Bergwerk-West in Kamp-Lintfort schließt zum 31. Dezember 2012. 2400 Kumpel sind betroffen.
2018 läuft der Kohlebergbau endgültig aus
Der Saar-Bergbau ist bereits Geschichte. Im Jahr 2018 läuft der subventionierte Kohlebergbau ganz aus. Das ist politisch gewollt, von Ökonomen empfohlen, aber auch der endgültige Abschied vom „alten“ Ruhrgebiet.
In Teilen des Reviers wurde dieses Kapitel allerdings schon vor Jahrzehnten geschlossen. Die letzte fördernde Zeche in Dortmund, „Minister Stein“, stellte 1987 den Betrieb ein. Vom Dreiklang „Kohle, Stahl und Bier“ blieb in der Westfalenmetropole wenig übrig.
Steinkohle wird heute vor allem in China, den USA und Indien gefördert. Dabei steckt sie immer noch in rauen Mengen unter dem Ruhrgebiet. Genug Kohle für 400 weitere Jahre Bergbau soll es angeblich sein. Doch die Förderung ist zu teuer.