Recklinghausen. . Die Ruhrfestspiel-Ausstellung im Rangfoyer, „Von den Taten des russischen Theaters“, erzählt mit viel Text und begeisternden Bildern von den Bühnen-Revolutionären bis 1917.

So eine halbe oder dreiviertel Stunde vor dem Theater-Besuch ist sicher zu knapp bemessen, um sich in aller Ausführlichkeit „Von den Taten des russischen Theaters“ erzählen zu lassen. So heißt die Ausstellung hoch oben im Rangfoyer des Festspielhauses, eine echte Deutschland-Premiere.

Die großformatigen Reproduktionen von rund 300 historischen Fotografien aus den großen Theater-Archiven und Museen St. Petersburgs „haben wir extra für die Ruhrfestspiele zusammen gestellt“, betont Dimitrij Sacharow. Er übersetzt für Irina Evert, die Kuratorin. Sie sorgte mit ihrer Kollegin Aleksandra Tutschinskaja und dem Design von Olga Shaishmelashvili, die als Kostümbildnerin zudem die Festspiel-Produktionen „Areja“ und „Onegin“ ausstattet, für mehr als einen Hauch von Theater-Magie in stillen und bewegten Bildern.

Man lasse sich zunächst einfangen von der Brillanz dieser 95 bis 120 Jahre alten Aufnahmen. Jede Schauspieler-Pose, jede Bühnenbild-Totale bestätigt den Satz der Kuratorin: „Die Tradition des psychologischen Theaters lebt weiter.“ In New York inspirierten die großen Russen das Method Acting der Lee Strasberg-Schule, in Deutschland das Regie-Theater. Heutige Bühnen in Russland, so Irina Evert, „leben eine Symbiose der psychologischen und der modernen Theaterkunst“.

Szene sei schnelllebig, nicht kurzlebig

Das Qualitäts-Kürzel, das als Logo auf etlichen Ausstellungs-Tafeln prangt, lautet MChAT, die russische Abkürzung des Moskauer Künstlertheaters. Mit seiner späten Gründung 1898 erwuchs der gespreizten Routine zaristischen Hoftheaters die erste vor-revolutionäre Konkurrenz: Anton Tschechows Drama „Die Möwe“ wurde zum Emblem des künstlerischen Aufschwungs. Tschechows Bruder Michail war auf Hauptrollen beim MChAT abonniert, seine Frau Olga Knipper die Hauptdarstellerin in vielen Tschechow-Uraufführungen.

Die Theater-Revolution stoppt – jedenfalls in dieser Ausstellung – mit der Oktober-Revolution. „Das Theater ist 1917 stehen geblieben von den Kostümen bis zur Gestik“, diesen Eindruck hatte Franz Peschke. Der künstlerische Berater der Ruhrfestspiele war in den letzten beiden Jahren als Frank Hoffmanns „Spion“ bei vielen russischen Bühnen zu Gast. „Es gibt aber auch Off- und Experimental-Theater“, ergänzt Dimitrij Sacharow. „Die Szene ist schnelllebig, nicht kurzlebig.“

Universitäten fragen bereits an

Der Satz gilt auch für die vom MChAT gezündete Talent-Explosion mit neuen Regie-Theatern, nicht nur in den beiden Metropolen Moskau und St. Petersburg, sondern selbst in der südrussischen Provinz. Neben den „psychologischen“ Produktionen, deren Bühnenbilder noch Peter Steins Birkenwäldchen inspirierten, würdigt die Ausstellung auch das „altertümliche“ Starinnyi-Theater: eine rauschende Pracht der Kostüme und Kulissen, die nach 1900 auch aus der Europa-weit grassierenden Orientalismus-Mode schöpfte. Von „Gestalten einer fernen, poetisierten und darum erlesen schönen Welt“ schwärmt die Kuratorin. Die letzte Aufführung vor der Revolution 1917 war die „Maskerade“ von Michail Lermontow. Die Produktion war sechs Jahre lang mit gewaltigem Aufwand vorbereitet worden. „Das war eine verfeinerte Schönheit, die keine Zukunft hatte.“

Die Ausstellung der Ruhrfestspiele ist gefragt: Mehrere Universitäten haben sich bereits nach „Den Taten des russischen Theaters“ erkundigt.