Velbert. So etwas hat Konjunkturexperte Gerd Helmut Diestler noch nie erlebt: Trotz aktuell guter Geschäftslage sind Unternehmer besorgt wie zuletzt 2009.
Marcus Stimler, Leiter der Velberter Zweigstelle der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf, bezeichnet sich selbst als „Berufsoptimist“, der sich so schnell die Laune nicht vermiesen lässt. Die vergangenen Wochen seien ihm aber an die Nieren gegangen, räumt er ein. Er sei im engen Austausch mit Firmenvertretern gewesen – „und gefühlt gibt es so viele Probleme und Baustellen wie noch nie“, fasst Stimler die Gespräche, aus denen er nichts Positives berichten könne, zusammen.
Energie, Lieferengpässe bzw. hohe Einkaufspreise und nach wie vor auch der Fachkräftemangel seien die bestimmenden Themen in allen Gesprächen mit Unternehmern, die von einer Krise in die nächste rutschen. „Die Wirtschaft steht vor einem harten Winter“, sagt Stimler.
IHK Düsseldorf hat Unternehmen im Kreis Mettmann und in Velbert befragt
Stimlers Eindrücke werden unterfüttert von der aktuellen IHK-Konjunkturumfrage für den Kreis Mettmann, die IHK-Chefvolkswirt Gerd Helmut Diestler nun vorgestellt hat. Hierfür wurden Unternehmen aus dem gesamten Kreisgebiet befragt. Zentrale Fragestellungen: Wie bewerten Sie die aktuelle Geschäftslage? Und: Welche Erwartungen haben Sie für das kommende Jahr. Die Unternehmen können mit „gut“, „neutral“ oder „schlecht“ bzw. bei den Erwartungen für 2023 mit „Verbesserung“, „Verschlechterung“ oder „gleichbleibend“ antworten. Aus der Differenz werden dann verschiedene Indizes berechnet.
Firmen im Kreis Mettmann beurteilen aktuelle Lage überwiegend noch positiv
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Dieses Mal haben sich aus dem Kreis knapp 250 Betriebe mit zusammen 16.000 Beschäftigten beteiligt. Und diese beurteilen die aktuelle Lage als noch zufriedenstellend. Der Lage-Index ist im Vergleich zur Befragung im Frühjahr zwar gesunken, bewegt sich aber noch im positiven Bereich. Heißt: Es gibt mehr Unternehmen, die ihre aktuelle Lage positiv bewerten als solche, die sie schon jetzt als negativ bezeichnen.
Erwartungen so negativ wie zuletzt bei der Weltwirtschaftskrise 2009
Ganz anders sieht jedoch der Erwartungs-Index aus. Dieser ist seit dem Frühjahr förmlich abgestürzt – auf den niedrigsten Wert seit der Weltwirtschaftskrise 2009. „Dass Lage und Erwartungen so weit voneinander abweichen, habe ich in den 25 Jahren, in denen ich die Konjunktur beobachte, noch nie erlebt“, so Diestler.
Der Konjunkturexperte nennt die in vielen Branchen aktuell noch recht gut gefüllten Auftragsbücher als Grund für die so noch nie dagewesene Diskrepanz. Lediglich die Bauwirtschaft sowie die durch hohe Treibstoffpreise belasteten Logistiker seien mit ihren Geschäften bereits jetzt im roten Bereich.
Einkaufspreis für Bauteil ist von 30 Cent auf 300 Euro gestiegen
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„Bei den Erwartungen spielt Psychologie natürlich eine große Rolle“, sagt Stimler. Manch ein Unternehmer habe das Gefühl, seine Firma nur noch von einer Krise zur nächsten zu steuern – und dabei durch eigene unternehmerische Entscheidungen nur noch wenig Einfluss zu haben. „Wenn ein benötigtes Teil im Einkauf statt bisher 30 Cent plötzlich 300 Euro kostet, kann das Unternehmen dagegen kaum etwas tun“, nennt Stimler ein konkretes Beispiel, das er kürzlich in einer Firma gehört hat. Da helfe es dann auch kaum, durch Umstellung auf LED-Beleuchtung in der Halle ein paar Euro zu sparen.
Furcht vor einer schweren Rezession ist weit verbreitet
„Die Furcht vor einer heraufziehenden schweren Rezession ist weit verbreitet“, sagt Diestler: „Durch die enorm gestiegenen Preise für sämtliche Energieträger geraten die Betriebe immer mehr unter Druck. Sie verteuern die Produktion und das Angebot. Das wiederum dämpft die Nachfrage bei privaten und gewerblichen Kunden.“ Diese Spirale gelte es nun, zu stoppen, hofft Diestler auch darauf, dass die von Bund und Land versprochenen Gelder zielgerichtet eingesetzt werden und nicht verpuffen.
>>> Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Bislang hatten die Krisen kaum negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im Kreis Mettmann.
Mehrheitlich beabsichtigen die Betriebe im Kreis laut IHK-Umfrage jedoch, ihr Personal trotz des anhaltenden Fachkräftemangels zu reduzieren. Nur noch jeder achte Betrieb plant demnach zusätzliche Einstellungen. Vor Jahresfrist war es noch jeder dritte.