Langenberg. Kabarettist Jürgen Becker begeistert in Velbert-Langenberg. Routiniert und intelligent umschifft er auch plötzliche Probleme mit der Technik.
Mindestens eine Eigenschaft verbinden AllDie und Jürgen Becker: Leidenschaft! Zum fünften Mal gastiert der Kabarettist im ausverkauften Kunsthaus, diesmal mit seinem Programm „Die Ursache liegt in der Zukunft“. Der kybernetisch anlehnte Titel wirkt wie Michelangelos Fresko von der Erschaffung Adams. Übersetzt: Kabarettisten-Gott Becker erweckt mit ausgestrecktem Zeigefinger sein Langenberger Publikum. Wozu?
Kein Verständnis für Flugreisen
Nachhaltiges Handeln, für Umwelt und Menschen – auch seitens der Politiker. Becker selbst erklärt sich zum Kaltduscher. Er spare damit nicht nur Energie sondern auch Wasser. Die Weiternutzung der Atomenergie könne er sich vorstellen, solange die genutzten Brennstäbe bei Friedrich Merz im Garten vergraben werden. Reisen, insbesondere Flugreisen versteht er nicht. „In Holland gibt es keine Inlandsflüge mehr“, sagt er. Sei aber wirklich sinnlos. Der 62-Jährige wird gefühlt ernst: „95 Prozent der Bevölkerung hat noch nie ein Flugzeug von innen gesehen, aber die Bundesregierung steckt 9 Millionen in die Lufthansa.“
Den Liebespartner schön trinken
In dem Augenblick könnte einem das Lachen im Halse stecken bleiben. Becker kitzelt es raus. Zieht die imaginären Fäden und ergänzt: „Jesus flog CO2-neutral“. Analogien zur Bibel beziehungsweise christliche Bilder nutzt der Kabarettist häufiger. Beispiel Parship: „Esse nie Obst und laufe nackt im Paradies rum.“ Eine Kurzbeschreibung von Adam für das Online-Vermittlungstool. 360 Euro investiere der Nutzer durchschnittlich, um einen Partner zu finden. „Früher haben wir uns verabredet und uns den Partner für 20 Euro schön gesoffen.“
Kritik am Gesundheitssystem
Becker im Zuschauerbad
Jürgen Becker sitzt am großen Esstisch im AllDie Kunsthaus. Ehrenamtliche setzen sich dazu, auch die Köchin. Chili con Carne gibt es und jede Menge Anti Pasti. „Meine Gage habe ich schon umgesetzt“, scherzt der Kabarettist. Ein neues Bild nennt er sein Eigen, erworben im AllDie Kunsthaus.
Während des Desserts werden die Zuschauer eingelassen. Die Nähe zu Publikum scheut Becker nicht, im Gegenteil: Während der Pause geht er zur Theke, verteilt nach der Vorstellung Bier an die Zuschauer. Netter Plausch eingeschlossen.
Seine gesellschaftliche Kritik schwenkt auf das Gesundheitssystem. „Da läuft etwas total schräg.“ Und er spricht aus, woran einige ein Gschmäckle wahrnehmen, es jedoch nicht auszudrücken wagen: Pfleger seien Helden? „Nein“, sagt er, „es sind Leute am Limit!“ Seine Kritik richte sich an die Shareholder von Helios, Sana oder Asklepios. Zwischen 1996 und 2014 seien 36.000 Stellen Pflegestellen abgebaut worden. Von Krankenhauskeimen, über IGEL-Angebote, wie rektale Ozontherapie, bis hin zur Bürgerversicherung – auch für Beamte und Politiker; Jürgen Becker pikst in die Schmerzpunkte. Seine Kritik ist massiv, denn es geht um den Menschen. Die Sichtweisen machen bisweilen sprachlos, vielköpfiges Nicken bestätigen ihn, herzliches Lachen würdigen seinen Humor. Frohsinn, Erleichterung, während der Eiter aus der Wunde läuft.
Vermeintlich sprachlos macht ihn die Technik. Tonprobleme, die er entertainend nutzt und mit dem Publikum singt, bis die Mikros ausgetauscht sind. An dieser Stelle wird der Profi deutlich. Geistreiche Überbrückung der Zwangspause und im Anschluss direkt weiter im Text. Hut ab dafür, genauso wie für die AllDie-Künstler, die Ruhe behalten und das Publikum, das das Intermezzo gut gelaunt mit Applaus quittiert. Ein weiterer Punkt zieht sich durch das Programm: die Angst vor der Zukunft.
Visionen sind gefragt
Wohnen wird teurer. Immobilienpreise steigen, AirBnB wächst und die „Zeugen Removas“ ziehen mit ihren Rollkoffern durch die Straßen, um ihre „Bleiben“ zu suchen. Da scheint jemand „die Mietpreisbremse mit dem Gaspedal verwechselt zu haben“, resümiert er. Wo sind die Visionen, fragt er sich. Von der Politik werde er nur mit Details versorgt. „Utopien waren immer ein Motor der Weltverbesserung.“ Angst macht sich breit, Unsicherheit auch, getrieben vom BIP (Bruttoinlandsprodukt) oder vom Typ BWLer, dem es nur um das Geld geht. „Wirtschaftssystem ohne Raubbau und Wachstum, dafür sind wir zu blöd“. Wer Sozial-Kritik mit Humor wünscht, der muss Jürgen Becker zuhören. Lachen hilft der Gesundung, Übertreiben dem Verständnis, Einsicht dem Menschen. Jürgen Becker sorgt für einen kurzweiligen sowie anregenden Abend, der Leidenschaft reaktiviert.