Neviges. Heulten die Sirenen, ging es in den Bunker. Beim 70-jährigen Klassentreffen der Volksschule Velbert-Neviges wird es viel zu erzählen geben.

An die Schulspeise erinnern sie sich besonders gut. Hatte man Glück, gab es Puddingsuppe. „Die war richtig lecker, die mochten wir alle. Aber oft gab’s auch Erbsmehlsuppe, die schmeckte furchtbar, aber wer die nicht nahm, bekam beim nächsten Mal auch keine Puddingsuppe“, erzählt Gerd Willi Backhaus. Wenn er seine früheren Klassenkameraden am 9. April im Restaurant Seidel wiedersieht, dürfte das kulinarische Angebot etwas größer ausfallen – falls die Ehemaligen überhaupt zum Essen kommen bei all dem Austausch von Erinnerungen. Gemeinsam mit seiner ehemaligen Klassenkameradin Ingrid Schlüter, geborene Klossok, organisiert der 84-Jährige nach 70 Jahren das Klassentreffen des Entlassjahrgangs der evangelischen Volksschule an der Wilhelmstraße, bekannt als David-Peters-Haus.

Durch Zufall die alte Klasse wiedergetroffen

Lang, lang ist’s her: Die Abschlussklasse von 1952 der evangelischen Schule Wilhelmstrasse in Neviges. Repro: Christof Köpsel / FUNKE Foto Services
Lang, lang ist’s her: Die Abschlussklasse von 1952 der evangelischen Schule Wilhelmstrasse in Neviges. Repro: Christof Köpsel / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

„Anfangs hatte das Friedhelm Schlürscheid übernommen, danach lange Jahre Gerd Hildebrand. Aus gesundheitlichen Gründen gab er es jetzt ab“, sagt Backhaus, der noch immer froh ist, dass er durch einen Zufall vor vielen, vielen Jahren seine alte Klasse wiedergetroffen hat. „Ich war auf einem Geburtstag im Restaurant Kleine Schweiz eingeladen, und rein zufällig war da zur gleichen Zeit ein Klassentreffen mit meinen Ehemaligen. Ich bin zwar 1943 in Neviges eingeschult worden, aber meine Eltern sind dann 1950 nach Velbert umgezogen und ich kam zur Volksschule am Berg.“ Doch bei jenem Zufallstreffen in der „Kleinen Schweiz“ wurde sofort klar gemacht: Gerd gehört dazu. Was jetzt für alle ein Glück ist, nimmt er doch gemeinsam mit Ingrid Schlüter ab jetzt die Organisation der jährlichen Treffen in die Hand.

Schleuderball bei Wind und Wetter

50 Jahre schulfrei: Groß und lustig war die Runde zum 50-jährigen Klassentreffen der evangelischen Volksschule Neviges.
50 Jahre schulfrei: Groß und lustig war die Runde zum 50-jährigen Klassentreffen der evangelischen Volksschule Neviges. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Und das macht den beiden bei aller Arbeit einen riesen Spaß – wer ihnen zuhört, kann erahnen, wie viel es erstmal am 9. April bei Seidel zu erzählen gibt. Von Klassenlehrer Esser und Rektor Willich „der war super, da kann man nichts gegen sagen“. Oder Sportlehrer Hessmord, der bei Wind und Wetter auf den Sportplatz jenseits der Wilhelmstraße ging. „Schleuderball, laufen, haben wir alles gerne gemacht“, erinnert sich Gerd Willi Backhaus. Bei der Einschulung 1943 seien etwa 30 bis 35 Kinder in eine Klasse gegangen, aus ganz Neviges seien die gekommen. Ingrid Schlüters Familie wohnte damals in Lohmühle, Familie Backhaus im Siepen: Da hatten die kurzen Beine ganz schön zu tippeln.

Bei Fliegeralarm in die Hecke gedrückt

Hier paukten viele Nevigeser Kinder: Die evangelische Volksschule war damals im David-Peters-Haus untergebracht. 1979 zog die Musik- und Kunstschule hier ein, seit 2011 steht das Gebäude leer.
Hier paukten viele Nevigeser Kinder: Die evangelische Volksschule war damals im David-Peters-Haus untergebracht. 1979 zog die Musik- und Kunstschule hier ein, seit 2011 steht das Gebäude leer. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

„Ein Schulweg dauerte damals 45 Minuten, man hat natürlich auch geklüngelt, wie Kinder so sind. Und bei schlechtem Wetter haben wir uns manchmal auch in den Linienbus gequetscht und sind ein Stück schwarz mitgefahren“, so der 84-Jährige. Einschulung 1943, das bedeutete auch Sirenengeheul, Schutz suchen bei Fliegeralarm. „Wenn der auf dem Heimweg kam, haben wir uns am Pastoratsberg in die Hecke gedrückt, um nicht von den Geschossen der Tiefflieger getroffen zu werden.“ Ingrid Schlüter weiß noch zu gut, wie sich Fliegeralarm im Unterricht anfühlte: „Dann ging es im Schweinsgalopp rüber über die Straße in den Luftschutzbunker. Der war dann ordentlich voll.“ Aber bei allen Schrecken, man habe die Schulzeit und Kindheit trotzdem als schön empfunden. Backhaus: „Ich hab mal die Schule geschwänzt, bin lieber auf dem Schlossteich Schlittschuh gelaufen. Irgendjemand hatte dann gepetzt, dann gab’s einen blauen Brief nach Hause.“

Amerikaner backten Plätzchen

Ein Schuljahr wurde nicht anerkannt

In Deutschland bezeichnete die Volksschule eine Schulform, in der man nach acht Jahren den Volksschulabschluss erwarb. Wegen des Krieges wurde das erste Schuljahr 1943 nicht anerkannt, daher dauerte die Volksschule hier neun Jahre. Je nach Bundesland gibt es seit den 1960er und 1970er Jahren mit dem Hauptschulabschluss eine vergleichbare Ausbildung.Wer aus dem Entlassjahrgang 1952 der Volksschule Neviges keine Benachrichtigung für den 9. April, 15 Uhr, im Parkhaus Seidel bekommen hat: Bitte melden bei Gerd Willi Backhaus unter 02051 96 73 10 oder Ingrid Schlüter unter 02051 82 246.

Unvergessen für beide auch das Kriegsende, der Tag „als die Amerikaner 1945 vom Dönberg runter über den Siepen nach Neviges zogen“, so Backhaus. „Damals gab es im Siepen eine Genossenschaft, da brachten die Bauern ihr Korn zum Mahlen hin.“ Im Mai 1945 habe es vor allem die Siepener Kinder dorthin gezogen: „Die Amerikaner hatten da einen Ofen aufgestellt und Bisquit-Plätzchen gebacken, da haben wir immer welche abbekommen. Die haben uns auch mit Orangen und Schokolade versorgt.“ Unvergessen auch die vielen Stunden im Eis-Salon „Tessaro“ an der Wilhelmstraße/Ecke Elberfelder Straße, an die sich Gerd Willi Backhaus schmunzelnd erinnert: „Der gehörte dem Stiefvater meines Freundes Siegfried, da sind wir immer hin. Haben Schularbeiten gemacht und dabei Eis gegessen.“

Ingrid Schlüter, die später aus Überzeugung Hausfrau und Mutter wurde, und der Maschinenbau-Ingenieur Gerd Willi Backhaus denken beide gern an ihre Schulzeit zurück. Nun freuen sie sich 70 Jahre später auf ein Wiedersehen mit vielen „Weißt du noch?“ im Restaurant Parkhaus Seidel.