Velbert. Die stellvertretende Bürgermeisterin Esther Kanschat macht den Technischen Betrieben Velbert nach Fällungen im Langenhorst Vorwürfe.
Kritik gab es für die Technischen Betriebe Velbert (TBV) in den vergangenen Wochen reichlich. Immer wieder meldeten sich auch in der WAZ-Redaktion Leserinnen und Leser, um auf Baumfällungen im Stadtgebiet aufmerksam zu machen – sei es im Wäldchen am Tierheim, im Offerbusch oder im Langenhorster Wald. Häufig war in diesen Telefonaten, Briefen und Mails dann von „Kahlschlag“ die Rede, von „völlig übertriebenen Abholzungen gesunder Bäume“ – oft verbunden mit dem Hinweis auf die derzeit hohen Holzpreise, so dass sich die TBV ja eine „goldene Nase verdienen“ und deswegen mehr Bäume als erforderlich fällen würden.
Nun kocht das Thema erneut hoch – auf dem Facebook-Profil von Dr. Esther Kanschat, erste stellvertretende Bürgermeisterin und grüne Landtagskandidatin. Sie schrieb dort unter anderem, dass der Langenhorster Wald seinen Namen kaum noch verdiene und kritisiert, versehen mit einem Wut-Smiley, dass man rede, Gutachten zum Waldzustand zu vereinbaren und trotzdem einfach weiter und weiter geholzt werde. Kanschats Fraktionskollege Carsten Haider legte nach: „Anscheinend reicht dem Stadtförster ein trockener Ast an einer alten Buche, damit er sie einschlagen lässt.“
Gibt es einen Beschluss, dass ein Baumgutachter die Velberter Bäume prüfen soll?
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Esther Kanschat schreibt auf Facebook, dass „trotz eines entsprechenden Beschlusses“ die Bäume bislang nicht von einem externen Gutachter beurteilt worden seien – stattdessen Bäume „im großen Stil“ gefällt würden. In der Tat haben die Grünen 2021 einen Antrag gestellt. Einer der insgesamt sieben Punkte: Es solle ein Waldgutachten über den Gesundheitszustand der Wälder und ein Konzept für einen naturnahen Waldumbau erstellt werden. Dieser Antrag wurde im Ausschuss für Klima und Umwelt sowie im TBV-Verwaltungsrat diskutiert, dann aber ergebnislos an den neu eingerichteten Arbeitskreis Wald verwiesen. Zumindest in den öffentlichen Sitzungsprotokollen verliert sich dann die Spur dieses Antrages.
Stadtförster Peter Tunecke sagt auf WAZ-Nachfrage, dass das so genannte Forsteinrichtungswerk – ein Betriebsgutachten für die mittelfristige Planung im Forstbetrieb in Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Wald und Holz – turnusgemäß für 2022 beauftragt, aber noch nicht realisiert worden sei. Dies werde im Laufe des Jahres erfolgen. Dafür werde dann auch der aktuelle Zustand der Bäume erfasst, zudem solle ein Totholzkonzept ergänzt werden.
Auch Esther Kanschat räumt auf WAZ-Nachfrage ein, dass es keinen formalen Beschluss gebe. Aber in Gesprächen mit den TBV sei mündlich schon 2021 zugesagt worden, dass man eine neutrale Beurteilung des Waldes durchführen werde, zu der es aber laut TBV noch nicht gekommen sei. Kanschat: „Wenn man doch weiß, dass viele Bäume gefällt werden müssen, hätte man ja auch schon früher diesen Bericht anfertigen können, um Gegenmaßnahmen planen zu können, wie ebenfalls von uns gefordert.“
Sind alle gefällten Bäume tatsächlich krank oder umsturzgefährdet?
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Peter Tunecke betont, dass alle durchgeführten und noch durchzuführenden Maßnahmen ausschließlich der Verkehrssicherung dienen würden. „Wenn jemandem eine Baumkrone auf den Kopf fällt, ist das definitiv nicht meine Vorstellung von naturnahem Freizeitvergnügen.“ Die Dürre der vergangenen Jahre habe insbesondere die Altbuchen – nicht nur in Velbert – stark und nachhaltig geschädigt. Zudem seien fast alle Fichten durch den Borkenkäfer befallen und zum Absterben gebracht worden. Weitere Probleme gebe es durch Rußrindenerkrankung an Ahornbäumen. Schäden würden sich, so Tunecke weiter, nicht immer auf der gesamten Stammlänge zeigen, so dass man oft genauer hinschauen müsse. Jeder zu fällende Baum sei durch eine bei den TBV angestellte zertifizierte Baumkontrolleurin und ihn selbst zuvor geprüft und dokumentiert worden.
Die AG Wald
Seit dem vergangenen Jahr gibt es die Arbeitsgemeinschaft (AG) Wald.
Sie setzt sich zusammen aus zwölf Vertretern, die aus den politischen Fraktionen benannt worden sind, dem städtischen Klimaschutzbeauftragten sowie Vorstand und Forst-Mitarbeitern der Technischen Betriebe Velbert.
Die AG hat 2021 sechsmal getagt, es gab auch Exkursionen in den Offerbusch und Langenhorst. Peter Tunecke hat, wie er sagt, auch über den Zustand der Velberter Wälder informiert – inklusive Fotos.
Esther Kanschat hat nun um Einsicht in die Unterlagen gebeten. Die Grünen-Politikerin sagt: „Die gefällten Bäume hatten nicht alle Schäden, viele waren auch von innen vollkommen gesund.“ Es werde häufig die dunkle Farbe des Stammes (Falschkern) für eine Aussage über die nicht mehr vorhandene Standsicherheit verwendet, aber laut Fachliteratur sei das nicht korrekt, so Kanschat. Eine Untersuchung von Bäumen könne man durch Schalltomografen am nicht gefällten Baum vornehmen, „diese Möglichkeit wurde nicht in Erwägung gezogen“, so Kanschat – die Grünen würden nun jedoch einen entsprechenden Antrag stellen.
Was verdienen die TBV durch die Baumfällungen?
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Wer im Internet nach Holzpreisen sucht, stößt auf verschiedene Indices und höchst unterschiedliche Preise, abhängig von Holzqualität und Sorte – und zumindest teilweise auf extreme Preissteigerungen.
Laut Peter Tunecke sind die Erträge in der TBV-Bilanz jedoch rückläufig – im Jahr 2019 sind laut dem Geschäftsbereichsleiter rund 36.000 Euro, in den Folgejahren 22.000 und 15.000 Euro erzielt worden. Die gegenzurechnenden Aufwendungen – durch allgemeine Preissteigerungen für Unternehmen, aufwändige Seilarbeiten und Sicherungsmaßnahmen – seien „deutlich höher“ gewesen. Stelle man diese Zahlen in Relation zu den Umsatzerlösen der Technischen Betriebe von rund 49 Millionen Euro und greife man sich die Aufwendungen im Geschäftsbereich Forst von rund 1,1 Millionen Euro pro Jahr heraus, so revidiere sich eine Argumentation der reinen Gewinnerzielung bei „geringfügig gestiegenen Holzpreisen“, so Tunecke. Bei geschädigten Gefahrenbäumen sei ein deutlicher Wertverlust gegenüber gesundem Holz deutlich. Der Absatz sei weitgehend für eine thermische Verwertung erfolgt, eine stoffliche Nutzung am Markt sei nicht realisierbar gewesen. Insgesamt gebe es Schadholz – im Gegensatz zu gesundem Holz – im Überangebot und sei so teilweise gar nicht absetzbar. Wenn man größtmögliche Gewinne hätte erzielen wollen, so Tunecke, hätte man die Buchen vor 30 Jahren – im besten Holz-Alter – gefällt. Darauf habe man aber bewusst verzichtet.
Esther Kanschat hingegen verweist auf Holzpreise „auf Rekordniveau“ für Buchenholz – und darauf, dass an vielen Bäumen rote Aufkleber oder Beschriftungen seien.
Und so besteht wohl in den kommenden Wochen noch viel Gesprächsbedarf. Peter Tunecke verweist stets auf geschädigte Bäume und Verkehrssicherungspflichten, Esther Kanschat hingegen meint: „In Velbert kennt man nur fällen und zerstören – und nicht planen, schützen und neugestalten.“