Wuppertal. Nach einem Justizfehler steht eine Mutter in einem Missbrauchsprozess erneut vor dem Landgericht. Nach neun Jahren bricht sie ihr Schweigen.
In einem Fall um sexuellen Missbrauch an einem vier Jahre alten Mädchen in Velbert 2013 steht die Mutter (34) erneut vor dem Landgericht Wuppertal. Die Frau hatte die ursprüngliche Anzeige gegen ihren inzwischen verstorbenen, damaligen Ehemann erstattet und soll sich dabei als Mittäterin belastet haben. Das Gericht muss das Verfahren aus Winter 2020 neu aufrollen; das frühere, nicht rechtskräftige Urteil gegen die Frau über 18 Monate Bewährungsstrafe ist wegen eines Justizfehlers aufgehoben.
Am ersten, neuen Prozesstag brach die Frau ihr über neun Jahre gehaltenes Schweigen vor Gericht. Sie bestreitet nun die Beteiligung an den Übergriffen. Unter Tränen warf sie in den Saal: „Für die eine Scheißaussage, die ich damals gemacht habe, bin ich doch jetzt genug gestraft!“
Eine Anzeige in Velbert aus dem Jahr 2013
Gegenstand der Anklage ist die Anzeige vom März 2013. An einem Januarabend des selben Jahres habe der inzwischen verstorbene, zweite Mann der Angeklagten verlangt, dass sie die Vierjährige ins Schlafzimmer rufe – eine ihrer Töchter aus erster Ehe. Der Mann habe sexuelle Handlungen an dem Kind vorgenommen und die Angeklagte aufgefordert, das Mädchen ebenfalls im Intimbereich anzufassen. Sie habe das getan.
Lesen Sie hier weitere Berichte aus Velbert:
- Handel: Wie Hausbesitzer die Innenstadt mitgestalten können
- Unternehmen: Zambo macht Wohnmobile autark
- Impfangebote: Velberter Ärzte impfen samstags nicht mehr
- Corona-Folgen: Werden Senioren digital abgehängt?
- Kriminalität: Polizei warnt vor Trickbetrügern
Der schwer kranke Ehemann ist inzwischen verstorben
Später widerrief sie diese Angaben. Sie seien falsch, um ihren Mann zu belasten. In der Folge entwickelte sich, was der Anwalt der Frau „eine perverse Situation“ nennt: Die Staatsanwaltschaft klagte zunächst die Frau an, nicht aber den Mann, gegen den es keine Anzeige mehr gab. Dieser Prozess platzte vor dem Amtsgericht Velbert. 2020 klagte die Staatsanwaltschaft schließlich beide Eheleute an, vor dem Landgericht. Der Mann war da schwer erkrankt, er starb kurz darauf.
Die Kinder leben unter neuem Namen in einer Pflegefamilie
Seitdem sitzt die Frau allein auf der Anklagebank. Ihre Kinder nahm unmittelbar nach ihrer ersten Anzeige das Jugendamt in Obhut. Sie leben unter anderem Namen in einer Pflegefamilie in einer anderen Stadt, Kontakt gibt es nicht. Zeugenaussagen zufolge waren die Mädchen wegen der Geschehnisse in Therapie. Sie wurden in verschiedenen Phasen der Ermittlungen befragt. Belastet haben sollen sie sie vor allem den Mann, den sie als Vater bezeichneten.
Am Donnerstag (17. Februar) erschienen auch sie im Landgericht, abgeschirmt von Begleitpersonen auf dem Weg zum Zeugenzimmer. Zur Befragung unter Ausschluss der Öffentlichkeit sollen sie sich auf ihr Schweigerecht berufen haben.
Am Dienstag wird weiter verhandelt
Zum Schluss des ersten Verhandlungstages zog der vorsitzende Richter ein Zwischenfazit: Es komme darauf an, wie man die erste Aussage in der Anzeige der Frau wertet – als glaubhaft oder nicht. Die Antwort der Angeklagten, unter Tränen vorgetragen: „Nach sieben Jahren war mein erster Mann auf einmal tot. Ich war 24 Jahre alt, mit zwei kleinen Kindern. Da bin ich an einen Mann geraten, der so einen Scheiß mit meiner Tochter gemacht hat. Und das ist die Wahrheit.“ Die Staatsanwältin erwiderte, sichtlich ebenfalls unter höchster Anspannung: „Der Text ist so detailliert – ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Sie das alles erfunden haben!“ Das Wuppertaler Landgericht will nun kommenden Dienstag weiter verhandeln.
>>>Justizfehler
Die Angeklagte wurde in einem ersten Urteil des Landgerichts Wuppertal nicht rechtskräftig verurteilt.
Dabei verwendeten die Richterinnen und Richter über lange Passagen das Protokoll der Polizei über die Anzeige, die die Angeklagte aufgegeben hatte.
Der Text wurde aber nie in die Verhandlung eingeführt, sondern steht nur in der Akte. Der Bundesgerichtshof hat deshalb das Urteil aufgehoben. Der Vorwurf muss neu aufgeklärt werden.