Velbert. Verantwortung tragen oder Aufgaben fair aufteilen ist keine Hexerei. Schulsozialarbeiter in Velbert trainieren das und mehr beim sozialen Lernen.

Eigentlich ging es ja um Kritik an den römischen Philosophenschulen seiner Zeit, als Seneca damals schrieb „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“ und damit eines der wohl bekanntesten Zitate lieferte. Aber auch genau umgekehrt wird ein Schuh draus. Vor allem dann, wenn es um soziales Lernen geht und das Einüben von Verhaltensweisen. So wie jetzt bei dem Projekt in der Martin-Luther-King-Hauptschule in Velbert. Was dabei Früchte trägt und hängen bleibt, das macht das Leben der Mädchen und Jungen und ihr Miteinander eigentlich in allen Bereichen einfacher.

50 Gegenstände erinnern und aufzählen

Clever und gleichmäßig aufgeteilt kommen hinterher beim Aufzählen auch ganz schön viele Dinge wieder zusammen.
Clever und gleichmäßig aufgeteilt kommen hinterher beim Aufzählen auch ganz schön viele Dinge wieder zusammen. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

In dem Stuhlkreis mit 17 Schülern der 5 a in der Aula wird gegiggelt und gezappelt, liegt das Wesentliche jedoch in der Mitte: 50 verschiedene unter einer Decke verborgene Gegenstände. Die haben die im Schnitt Elfjährigen zuvor gesehen, haben sie auch in der Hand gehabt – und sollen sie nunmehr erinnern und möglichst vollständig aufzählen. Den Schwamm, die Kreide, das Malbuch, das Kartenspiel, den Handschuh und vieles mehr.

Absprachen treffen und Aufgabe aufteilen

Auf 36 Stück kommen sie im ersten Versuch, und müssen sich nun von Kurt Groll fragen lassen, „ist das ne gute Idee, wenn einer von euch ein oder zwei Gegenstände nimmt und sich merken muss und ein anderer sieben oder acht“? Sodann regt der Schulsozialarbeiter an, ob womöglich jeder der 17 drei Gegenstände nimmt….. Mit dem Hintersinn bzw. Lernziel, dass gemeinsam eine klare Absprache getroffen und die Aufgabe fair aufgeteilt wird und jeder Verantwortung für „seine“ drei Dinge übernimmt. Kleine Mathe-Übung, wie viel das wohl wären? Zack, geht ein Finger hoch: „51 isch glaub.“

Vom Sagen zum Tun

„Die sind Gold wert“, lobt Barbara Kreimer die Schulsozialarbeiter und deren Wirken.
„Die sind Gold wert“, lobt Barbara Kreimer die Schulsozialarbeiter und deren Wirken. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Groll zitiert den wohl typischen Seufzer von Eltern bzw. Erziehenden „Ich hab es ihm schon tausendmal gesagt, aber er macht es einfach nicht“. Es funktioniere eben nicht übers Sagen, so der Dipl. Sozialwissenschaftler. „Weg vom Sagen, hin zum Tun, das ist die Idee des sozialen Lernens. Die Sinnhaftigkeit von Regeln erleben lassen.“ Dabei spiele die emotionale Beteiligung eine gewichtige Rolle. Bei der Lösungssuche würden zwar gewisse Leitplanken gesetzt, den Weg müssten die Schüler jedoch selbst finden: „Sonst würden wir ihnen ja das Erlebnis klauen.“ Man bewerte wohl, gebe aber keine Noten.

Einer war für das System zu wenig

Kurt Groll, der die eine Hälfte seiner Arbeitszeit an der Grünstraße ist und in der anderen die städt. Mitarbeiter koordiniert, ist kein Einzelkämpfer. In der Hauptschule gibt es noch Dominik Verholen als Honorarkraft, die städt. Schulsozialarbeiterin Alexandra Hall und die landesbedienstete Maren Platzhoff. „Die sind Gold wert“, schwärmt Barbara Kreimer. Die Schulleiterin hatte sich für den Ausbau und die personelle Verstärkung der Schulsozialarbeit – Leitmotto „Helfen wo’s weh tut.“ – stark gemacht. Einer allein, so wie früher, sagt Kreimer, „ist für das System zu wenig.“

Reden und gehört werden

Kurt Groll (li.) koordiniert auch die städt. Mitarbeiter im Bereich der Schulsozialarbeit und Maren Platzhoff (re.) ist mittlerweile auch Box-Coach.
Kurt Groll (li.) koordiniert auch die städt. Mitarbeiter im Bereich der Schulsozialarbeit und Maren Platzhoff (re.) ist mittlerweile auch Box-Coach. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Das Büro des Teams – „Wir machen den Job alle aus Überzeugung.“ – ist ein offenes. Offen für „Chill and Talk“. Aber große Überraschung: Chillen ist bei den Hauptschülern gar nicht so gefragt: „Die kommen zum Gespräch, weil sie hier jemanden antreffen, der sich echt für sie interessiert“, erzählt Maren Platzhoff. Sie hat eine Box-AG ins Leben gerufen, die bei Jungen und Mädchen gleichermaßen „gut ankommt“. Daraufhin hat Platzhoff eine Weiterbildung als therapeutischer Box-Coach gemacht. Einmal in der Woche boxt sie mit einer gemischten Gruppe und einmal nur mit Mädchen. Und letztere kommen nach Auskunft des Teams mittlerweile mit einer ganz anderen, aufrechteren und selbstbewussteren Körperhaltung ins Büro als in früheren Zeiten.

Klare Ansagen kommen an

Was bei dem Training der 5 b auffällt: Die Ansagen der Schulsozialarbeiter sind klar und sie wirken. Etwa: „Ihr müsst mal weniger reden und mehr zuhören!“ Oder: „Schau mich an, ich red mit Dir!“ – „Wir haben nicht mehr Autorität, wohl eher mehr Respekt“, lautet die Erklärung. Man pflege einen wertschätzenden Umgang. „Ich geb von mir als Mensch was preis“, ergänzt Groll.

Die Schüler haben sich übrigens im folgenden Durchgang auf 44 gesteigert. Kurt Groll: „50 als Team zu erinnern ist kein Problem, wenn jeder seine Verantwortung für seine Dinge wahrnimmt.“ Also am besten dann wohl das Ganze noch einmal.

Hauptschule hat einen Montessori-Zweig

Das aktuelle Projekt „Werte erleben“, das zehn Monate lang auch hier an der Martin-Luther-King-Schule läuft, wurde ermöglicht über die Förderung des NRW-Familienministeriums durch das Landesprogramm „Wertevermittlung, Demokratiebildung und Prävention sexualisierter Gewalt in der und durch die Jugendhilfe“. Jede Klasse bekommt alle 14 Tage ein zweistündiges Training.

Die vor mehr als zehn Jahren eröffnete Schule an der Grünstraße ist eine Hauptschule mit erweitertem Ganztag. Neben den Regelklassen gibt es einen Montessori-Zweig. Zum Kollegium gehören 34 Lehrer, die 304 Mädchen und Jungen unterrichten und betreuen. In den Klassen sind durchschnittlich 26 Schüler; Unterrichtsgruppen in Kursen haben 14 bis 20 Teilnehmer.