Velbert. 80 Prozent der Deutschen helfen im Notfall nicht – oft aus Angst, etwas falsch zu machen. Auch unsere Autorin war in der Situation überfordert.

Die Erkenntnis, im Notfall nicht helfen zu können, erwischte mich schlagartig. Eigentlich wollte ich mir in einer Lernpause nur ein Brötchen holen und dann wieder ans Werk, doch im Treppenhaus traf ich auf einen älteren Mann, der sich am Geländer festklammerte. Als ich ihm aufhelfen wollte, brach er zusammen und ich rief den Notarzt.

Völlig überfordert mit der Situation probierte ich, die anderen Anwohnerinnen und Anwohner auf uns aufmerksam zu machen. Mittlerweile atmete der Mann nur noch dünn, doch aus Angst bei einer Herzdruckmassage etwas falsch zu machen – und auch wegen der Hemmung, einen fremden Menschen anzufassen –, hoffte ich untätig darauf, dass der Notarzt schnell kommen würde.

In Erste-Hilfe-Kursen, die auch in Velbert regelmäßig stattfinden, lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie man in Notfällen richtig reagiert.
In Erste-Hilfe-Kursen, die auch in Velbert regelmäßig stattfinden, lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie man in Notfällen richtig reagiert. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Professionellen Helfern ist diese Reaktion bekannt. Stephanie Gester, die häufig für das Velberter DRK auf Veranstaltungen im Einsatz ist, berichtet: „Viele Menschen sind hilflos, nervös und oft auch panisch.“ Einige würden dann aus Angst, etwas falsch zu machen, nichts tun. Das sei aber die schlechteste aller Möglichkeiten: „Irgendetwas zu tun ist immer besser als gar nichts zu tun.“

Auch Gerhard Tennagels vom gleichnamigen Sanitätsdienst weiß: "Da viele Menschen keine Routine in der Notfallhilfe haben, ist die Hemmschwelle besonders hoch." Zudem würden sich einige Ammenmärchen halten und so die Menschen verunsichern. "Die Hintergründe für einzelne Maßnahmen zu verstehen, ist besonders wichtig", betont Tennagels. Nur fundiertes Wissen sei nachhaltig gefestigt.

Erste Hilfe ist nicht wie Fahrradfahren

So rät auch Stephanie Gester vom DRK in Velbert dazu, das Wissen zu diesem Thema regelmäßig aufzufrischen. „Erste Hilfe ist nicht wie Fahrradfahren. Man verlernt die richtigen Handgriffe und Maßnahmen, wenn man sie nicht regelmäßig übt und wird auch immer unsicherer“ Ideal sei es, einen Kurs zu besuchen, wo dann zum Beispiel auch spezielle Wiederbelebungs-Puppen vorhanden seien. Aber es gibt auch immer mehr Online-Tutorials, in denen Profis zeigen, was in bestimmten Situationen zu tun ist. Übrigens: Laut Deutschem Roten Kreuz ist das Corona-Infektionsrisiko bei Erster Hilfe gering.

Der letzte Kurs liegt meist lange zurück

Wichtige Tipps für die Wiederbelebung

Wiederbelebungsmaßnahmen sollten eingeleitet werden, wenn der Betroffene keine Reaktion auf Ansprache oder ein leichtes Rütteln gibt. Auch bei Bewusstlosigkeit ist eine Herz-Lungen-Wiederbelebung nötig.

Seitlich neben dem Betroffenen knieend muss dafür mit den aufeinandergesetzten Handballen 30 Mal gedrückt werden. Danach folgt eine zweifache Beatmung, wofür der Kopf des Betroffenen in den Nacken geneigt wird, um die Atemwege zu befreien. Die Nase mit den Fingern schließen und dann für eine Sekunde Luft in den Mund des Betroffenen blasen – und darauf achten, dass sich der Brustkorb hebt. Bei Bedarf muss das wiederholt werden.

Den idealen Takt für die Herzdruckmassage geben beispielsweise die Songs „Sorry“ von Justin Bieber, „Dancing Queen“ von ABBA oder „Hips don't lie“ von Shakira vor.

Mir hat die Situation gezeigt, dass eine Auffrischung des Wissens jedenfalls nicht schaden kann. Mein letzter Erste-Hilfe-Kurs liegt mittlerweile knapp fünf Jahre zurück und die Abläufe von der Notfallhilfe sind mir höchstens aus mittelmäßigen Arztserien bekannt. „Das Thema Notfallhilfe muss in Deutschland mehr thematisiert werden", fasst der Leiter des Sanitätsdienst Tennagels zusammen: "Wenn in den USA ein Mensch umfällt, werden in 60 Prozent der Fälle Reanimationsmaßnahmen der Umstehenden eingeleitet. In Deutschland liegt die Zahl bei knapp 20 Prozent. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Notfallhilfe in den amerikanischen Schulen häufiger thematisiert wird.“

Es geht um jede Sekunde

Bei dem Notfall im Treppenhaus leitete glücklicherweise ein Anwohner umgehend die Wiederbelebungsmaßnahmen ein. "Nach drei Minuten ohne Sauerstoff vergisst das Gehirn Informationen, die nach fünf Minuten nicht wieder zurückzuholen sind", erklärt Gerhard Tennagels und ergänzt: "Nach zehn Minuten ohne Sauerstoff tritt dann der Tod ein. Deswegen geht es um jede Sekunde."

Die Situation im Treppenhaus hat mir gezeigt, dass ein Notfall einen im unerwarteten Moment trifft – doch so unvorbereitet möchte ich mich nicht noch mal fühlen müssen. Deswegen steht bei mir demnächst ein Erste-Hilfe-Kurs an, so dass ich zukünftig nicht mehr hilflos im Notfall bin.