Neviges. Am 31. Dezember schließt die Schwanen-Apotheke in Neviges. Inhaber Thomas Bellers geht in den Ruhestand. Doch die Tradition bleibt erhalten.

Es ist das Ende einer Ära, aber es ist nicht das Ende einer Jahrhunderte alten Familientradition: Am 31. Dezember schließt die Schwanen-Apotheke im Herzen von Neviges. Inhaber Thomas Bellers, Apotheker in fünfter Generation, geht in den Ruhestand – mit ein klein wenig Wehmut, viel Dankbarkeit für seine lieb gewonnene Stammkundschaft und vor allem „frohen Mutes“, wie der 68-Jährige beteuert. „Es geht ja weiter, wir bleiben vor Ort.“ Nur etwa 100 Meter entfernt liegt an der Elberfelder Straße 55 die Sonnen-Apotheke, geführt von seiner Ehefrau Martina Bellers. „Die Ausstattung ist hochmodern, das Warenlager größer. Und vor allem ist die Sonnen-Apotheke bis auf eine Mini-Schwelle barrierefrei.“

Ein Teil des Personals zieht mit um

Gegenüber der Pfarrkirche war von 1865 bis 1896 der erste Standort der Schwanen-Apotheke. Heute ist an dieser Stelle ein Grill-Imbiss.
Gegenüber der Pfarrkirche war von 1865 bis 1896 der erste Standort der Schwanen-Apotheke. Heute ist an dieser Stelle ein Grill-Imbiss. © FUNKE Foto Services | Repro Alexandra Roth

Das kann man von der Schwanen-Apotheke nun nicht behaupten. „Mit den fünf Stufen darf diese Apotheke nicht verkauft und so nicht weiterbetrieben werden. Das ist gesetzlich verankert und gilt in ganz Deutschland“, sagt Thomas Bellers, dem der Rückzug auch aus folgendem Grund leicht fällt: Mit all den Kartons, Pillen und Tiegeln zieht Ende des Jahres auch ein Teil seines Teams mit um in die Sonnenapotheke: Seit 25 Jahren hält Huriye Arslan der Familie Bellers die Treue, Tatjana Sulima ist seit 20 Jahren dabei. Ute Langer geht nach 41 Jahren in Rente, „so lange hat sie es bei uns ausgehalten, sie arbeitete bereits bei meinen Eltern“, sagt ihr Chef lachend. Apotheker Mohamed Aboulkacem verlässt Neviges aus familiären Gründen Richtung Stuttgart, und Amal Ben Rehaiem hat eine neue Stelle in Wuppertal-Vohwinkel.

Die Technisierung nimmt immer mehr zu

Aus gediegenem Holz und in den 60er Jahren hochmodern: Apotheker Ernstgünter Bellers, Vater des jetzigen Inhabers, zog 1951 zum heutigen Standort Im Orth, der damals noch Schulstraße hieß.
Aus gediegenem Holz und in den 60er Jahren hochmodern: Apotheker Ernstgünter Bellers, Vater des jetzigen Inhabers, zog 1951 zum heutigen Standort Im Orth, der damals noch Schulstraße hieß. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

Also alle versorgt, was dem Pharmazeuten am Herzen liegt. Ja, es sei ein guter Zeitpunkt zu gehen, denn, so sagt er unverblümt: „Was im Moment von einer Apotheke verlangt wird, das ganze technische Know-How, das fällt schon schwerer im Alter.“ Zu der zunehmenden Technisierung geselle sich eine immer aufgeblähtere Bürokratie. Wenn zum Beispiel auf dem kurzen Dienstweg in der Fußgängerzone ein Medikament die paar Meter von der Schwanen- in die Sonnen-Apotheke getragen werde, sei das mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Da müssten Rechnungen erstellt, Sicherheitscodes gescannt, verschickt und wieder neu eingerichtet werden, um nur einige der notwendigen Schritte zu nennen.

König Wilhelm erteilte die Erlaubnis

Inzwischen ein reines Wohnhaus, doch noch heute erinnert ein Schriftzug an die frühere Apotheke oberhalb der Elberfelder Straße, schräg gegenüber der heutigen Sonnen-Apotheke.
Inzwischen ein reines Wohnhaus, doch noch heute erinnert ein Schriftzug an die frühere Apotheke oberhalb der Elberfelder Straße, schräg gegenüber der heutigen Sonnen-Apotheke. © FUNKE Foto Services | Carsten Klein

Wie dem auch sei, die Tradition lebt auch nach Schließung der Schwanen-Apotheke weiter. Und wenn Thomas Bellers seine Familiengeschichte Revue passieren lässt, dann wird auch ein Stück Stadtgeschichte lebendig. Im Jahr 1865 erteilte der preußische König Wilhelm seinem Ur-Urgroßvater die Konzession, eine Apotheke zu führen. Sie lag damals gegenüber dem Portal der Pfarrkirche. An der Stelle ist heute ein Grill-Imbiss. 1896 zog die Apotheke dann um in das noch heute wunderschön anzusehende herrschaftliche Haus Elberfelder Straße 56, gegenüber der heutigen Sonnen-Apotheke. Um die zumeist selbst hergestellten Tropfen, Pillen und Salben zu bekommen, musste man gut zu Fuß sein: Schlappe 40 Stufen führten bis in die Offizin, den Verkaufsraum der Apotheke.

Als Kind Lebertran genascht

Der Standort ist geblieben, sonst hat sich seit 1951 viel verändert, auch der Straßenname.
Der Standort ist geblieben, sonst hat sich seit 1951 viel verändert, auch der Straßenname. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

„Im Jahr 1951 verlegte mein Vater Ernstgünter die Schwanen-Apotheke in die Schulstraße, so hieß die heutige Straße Im Orth bis zur kommunalen Neugliederung.“ Die Familie wohnte in der zweiten und dritten Etage, doch die Apotheke, das Labor und alles was damit zusammen hing, hat den Jungen schon immer interessiert, zumal auch Mutter Helga Pharmazeutin war. „Mal eben den Finger in Lebertran tunken, weil der so schön süß schmeckte, das gehörte dazu“, erinnert sich Thomas Bellers, der als Dreikäsehoch drei Berufswünsche hatte: „Apotheker, Feuerwehr-Mann, Häuser abreißen“, zählt er auf. „In Bayern hab ich als Gruppenleiter sechs Jahre lang eine Freiwillige Feuerwehr mit aufgebaut, sie zwei Jahre geleitet und hab sechs Leistungsabzeichen absolviert. Apotheker bin ich geworden und ich bau auch gern um.“

Im Jahr 1957 begann ein neues Kapitel

Die Tradition lebt weiter

Die Liebe zur Pharmazie hat auch eines der Kinder von Martina und Thomas Bellers geerbt: Tochter Sabine berät als promovierte Pharmazeutin die Ärzte zweier Krankenhäuser bei der Medikation. Ihre Geschwister Susanne und Jan dagegen sind Betriebswirtschaftler.

Die Schwanen-Apotheke schließt am 31. Dezember und geht zum 2. Januar 2022 in die Sonnen-Apotheke über.

Als 1957 die Niederlassungsfreiheit für Apotheker in Kraft trat, begann auch ein neues Kapitel bei der Familie Bellers: „Meine Mutter Helga eröffnete die Sonnen-Apotheke. Sie war sehr gut in ihrem Beruf. Auch meine Frau ist sehr gut und engagiert in ihrem Beruf, wir Männer sind eher gut geworden.“ Im Studium in Berlin, das Thomas Bellers nach vier Jahren abgeschlossen hat, lernte er Ehefrau Martina kennen. Wieder zuhause in Neviges war er erst beim Vater angestellt und übernahm dann 1985 die Schwanen-Apotheke.

Berufsbild hat sich verändert

Ja, das Berufsbild des Apothekers habe sich schon sehr geändert, sagt der Pharmazeut. „Zu Zeiten meines Vaters, also in den 60er Jahren, wurden noch etwa 70 Prozent der Arzneien selbst hergestellt.“ Geblieben sei unter anderem der persönliche Kundenkontakt, die Beratung, die Herstellung von Rezepturen, die Kunden-Belieferung mit Arzneimitteln noch am gleichen Tag. Eine Stammkundin bleibe über all die Jahre unvergessen: „Eine alte Dame, die nicht verstand, dass sich trotz der Medikation ihr Zuckerwert nicht verbesserte.“ Auf Nachfrage habe die Dame erzählt, das verstehe sie ja selbst nicht. „Ich schrubb doch die Pillen unterm Wasserhahn schon extra ab, damit ich nichts Süßes esse.“ Da war der Fall schnell gelöst: Denn fehlt der Schutzmantel, verpufft die Wirkung der Arznei. „Ich hab ihr geraten, in Zukunft bitte nicht mehr zu schrubben. Die Werte waren dann gut, die Frau zufrieden.“ Wie so viele, die hier 70 Jahre lang die Stufen zur Schwanen-Apotheke erklommen haben.