Velbert-Neviges. In der Wagenhalle in Neviges hatten bis zu 22 Straßenbahnen Platz. Neviges war ein Verkehrsknotenpunkt – und eine Straße besonders gefährlich.

Die erste Bahn quietschte morgens um sechs um die Ecke, die letzte gegen 23 Uhr. Dann hatten Fahrer und Schaffner endlich Feierabend, die Bahn tuckerte langsam in jenes imposante Gebäude, das Neviges ab 1895 zu einem Verkehrsknotenpunkt der Bergischen Kleinbahnen AG machte: Die alte Wagenhalle ist in dieser Folge Thema unserer Serie „Verschwunden, aber nicht vergessen“. Bis 1962 stand sie auf dem heutigen Parkplatz Auf der Beek. 22 Straßenbahnwagen hatten hier Platz, wurden nachts gewaschen und von innen sauber gemacht, bei Bedarf auch gleich repariert.

„Die Mauer des Verwaltungsgebäudes der Wagenhalle grenzte an die damalige Fabrik Tilling, das Gebäude steht ja immer noch. Damals wurden dort Uniform-Knöpfe und Militaria-Abzeichen produziert“, sagt Stadthistoriker Gerhard Haun und zeigt vom Standort Busbahnhof aus gegenüber auf das rote Backstein-Gebäude. Mit dem Bau der Straßenbahn-Wagenhalle 1895 begann in Neviges eine neue Ära. Bis Ende der 1950er Jahre, so Gerhard Haun, hat die Straßenbahn damals das Stadtbild bestimmt.

Firma aus Nürnberg legte Schienen

Von der Bahn aus in den Reisebus: Eine Aufnahme der Wagenhalle aus den 1930er Jahren. 
Von der Bahn aus in den Reisebus: Eine Aufnahme der Wagenhalle aus den 1930er Jahren.  © Privatbesitz Jürgen Oberwinster | Privatbesitz Jürgen Oberwinster

Verkehrstechnisch war Neviges seit jeher gut aufgestellt: An die Eisenbahnstrecke der Prinz-Wilhelm-Eisenbahn war der Wallfahrtsort bereits 1847 angeschlossen, 1890 wurde die Strecke von Kupferdreh nach Wuppertal-Vohwinkel zweispurig ausgebaut. Doch die Wagen quälten sich recht schwerfällig die Berge hoch, schnell erkannte man die Vorzüge der sehr viel leichteren, auf Schmalspur fahrenden Straßenbahn. „1895 wurde dann die Firma Schuckert aus Nürnberg beauftragt, das Bergische Land für Straßenbahnen zu erschließen und auch eine damals hochmoderne Wagenhalle zu bauen“, erzählt Gerhard Haun.

Fahrten im 20-Minuten-Takt

Schon zwei Jahre später, im Juli 1897, wurde die Strecke Neviges-Elberfeld/Bahnhof Steinbeck eröffnet, dann die Strecke Neviges-Velbert/Denkmal. Auch Tönisheide war schnell ans Schienennetz angeschlossen. „Die Straßenbahnen wurden zum Fortbewegungsmittel ihrer Zeit. Und gerade bei der Topographie hier waren die leichten Wagen von großem Vorteil“, erzählt Gerhard Haun.

Die Straßenbahnen seien von allen möglichen Menschen genutzt worden: Ausflügler, Arbeitern, die zur den Fabriken fuhren, Pilger auf dem Weg zur Wallfahrt. Am 2. Mai 1899 fuhr die neu eingerichtete Linie 7 zum ersten Mal in 23 Minuten von Neviges bis Langenberg-Rathaus, in Elberfeld war man von Neviges aus in 35 Minuten. Problemlos und ohne umzusteigen kam man auch von Langenberg nach Elberfeld – und das alles den ganzen Tag über im 20-Minuten-Takt. 40 Pfennig kostete die Strecke Neviges-Elberfeld, so Haun. Wer einen begehrten Sitzplatz auf der Holzbank ergatterte, zahlte 50 Pfennig.

Aufregende Fahrten durch Neviges

Der Historiker Gerhard Haun auf dem Gelände des heutigen Busbahnhofes. Auf der anderen Straßenseite, dort wo der Parkplatz ist, stand bis 1962 die alte Wagenhalle.
Der Historiker Gerhard Haun auf dem Gelände des heutigen Busbahnhofes. Auf der anderen Straßenseite, dort wo der Parkplatz ist, stand bis 1962 die alte Wagenhalle. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Neviges hatte früh eine Straßenbahn

Als Erfinder der Straßenbahnen gilt Werner v. Siemens (1816-1892). Die weltweit erste von ihm konstruierte Straßenbahn rollte 1881 auf einer Strecke von 2,45 Kilometern durch Berlin-Lichterfeld. Dabei wurde eine Geschwindigkeit von 45 km/h erreicht.

Bereits 14 Jahre später, im Jahr 1895, begann der Bau einer Straßenbahn-Linie von Elberfeld bis Neviges und weiter nach Velbert.

Der Boom zeigte sich auch im Ausbau der Wagenhalle. Die Einfahrtstore wurden 1922 von drei auf fünf aufgestockt, in der eigens eingerichteten Reparaturhalle fanden viele Männer aus Neviges und Umgebung Arbeit. Insgesamt 65 Fahrgäste passten in eine Bahn. „Alle Wagen hatten Gepäckräume und einen eigenen Güterwagen, zum Beispiel für Kohle“, weiß Gerhard Haun. So gemütlich die Fahrgäste durch die Landschaft des Bergischen Landes tuckerten, so aufregend war eine Fahrt durch das enge, beschauliche Neviges.

Wagen schoss ins Schaufenster

„Bog die Straßenbahn auf der Elberfelder Straße am ehemaligen Bürgermeister-Haus um die Ecke, also an der Gaststätte Eisernes Kreuz, musste der Schaffner vorher aussteigen, bis zur nächsten Kurve rennen und schauen, ob kein Auto kam.“ War dies der Fall, musste die Bahn zurücksetzen. So eng und kurvenreich die Straßen der Altstadt auch waren, die beiden schwersten Unfälle in der Chronik der Nevigeser Straßenbahn ereigneten sich beide auf der schnurgeraden Wilhelmstraße – und beide Jahr 1917. Am 9. September raste ein voll besetzter Wagen in die Wirtschaft Stadtschänke. Zwei Tote und 20 Schwerverletzte, so lautete damals die traurige Bilanz. Zehn Menschen wurden verletzt, als Wochen später am 30. Oktober ein Wagen an fast gleicher Stelle im Schaufenster eines Zigarrenladens landete.

Neue Haltestelle an der Stadthalle

Zwei schwere Unfälle geschahen 1917 auf der abschüssigen Wilhelmstraße. Danach fuhr die Bahn zeitweise nur leer den Berg herunter.
Zwei schwere Unfälle geschahen 1917 auf der abschüssigen Wilhelmstraße. Danach fuhr die Bahn zeitweise nur leer den Berg herunter. © Stadtarchiv Velbert/ Repro Katrin Böcker / FUNKE Foto Services

Beide Male wurde als Ursache erhöhte Geschwindigkeit vermutet – auf der abschüssigen Wilhelmstraße hatte die Straßenbahn wohl zu viel Fahrt aufgenommen. „Als Konsequenz fuhr sie danach leer die Wilhelmstraße herunter. Die Leute mussten oben aussteigen und nach Neviges herunter laufen. Wer weiter wollte, zum Beispiel nach Wuppertal, der stieg eben unten wieder ein“, erzählt Historiker Haun. Nach der Pause richtete man in Höhe der Stadthalle eine Haltestelle ein, an der alle Fahrer nach strenger Anweisung halten mussten. So war gewährleistet, dass die Wagen in gemäßigtem Tempo die restliche Wilhelmstraße herunter rollten.

Markthalle nach französischem Vorbild

Die letzte Straßenbahn fuhr 1959, die Linien wurden durch Busse ersetzt. Die Wagenhalle stand bis zu ihrem Abriss 1962 ein paar Jahre leer, jedoch ohne sinnlos vor sich hin zu gammeln. So haben die Handballer des NTV hier Ende der 50er Jahre trainiert, wie Gerhard Haun weiß, auch diente das Gebäude ab Mai 1959 als Markthalle für den Wochenmarkt. Den ersten Markt gab es 1885, der Überlieferung nach verkauften damals acht Bauern Gemüse und ein paar Haushaltswaren.

Die damalige Straßenbahnweiche auf der Elberfelder Straße, in Höhe der heutigen Stadtteilbücherei.
Die damalige Straßenbahnweiche auf der Elberfelder Straße, in Höhe der heutigen Stadtteilbücherei. © FFS | Stadtwerke Wuppertal Repro: Katrin Böcker

Nach Abriss der Wagenhalle zog der Markt 1966 zum Hasenkampsplatz, seit 1985 gibt es ihn in der Fußgängerzone. Kurios: Wie die historischen Quellen besagen, so Stadthistoriker Haun, gab es seit 1885 nie einen anderen Markttag als den Donnerstag.