Langenberg. Der Kabarettist Jens Neutag hat im Alldiekunst-Haus die rund 70 Zuschauer mit großer politischer Satire zur rechten Zeit bestens unterhalten.
„Mit Volldampf“ heißt das Programm, das der Wuppertaler Kabarettist Jens Neutag an diesem Abend im Alldiekunst-Haus zum vorletzten Mal spielt. Es ist sein erster Auftritt nach 159 Tagen und eine Rückkehr nach Langenberg, wo er sechs Jahre lebte. Geschmeidig lernt er sein Publikum kennen, überwiegend 50 plus. Rund 70 Zuschauer sind da, sie sitzen lauschend auf ihren Plätzen, mit Abstand und schweigend. Ob sie auch für Burkas seien? In Mecklenburg-Vorpommern plädierten die Rechtspopulisten für ein Burka-Verbot. Neutag erzählt, er sei dort am FKK-Strand gewesen und fragt: Ist das Burka-Verbot sinnvoll?
Demokratie als Serviceleistung
Sein Frustpotenzial: Lokalpolitik und Junggesellenabschiede, Reihenmittelhäuser mit getöpferten unlesbaren Namensschildern. Seine kabarettistische Vision: Conchita Wurst als Ehrenbürger des Vatikans. Aber eigentlich geht es Neutag ums Wachrütteln. Dazu schlüpft er unter anderem in die Rolle eines Seniors im Altenheim, der zunächst seine dritten Zähne einsetzen muss, sozusagen „Siri in analog“. Demokratie sei eine Serviceleistung des Staates, erklärt der alte Neutag mit schwächer werdender Stimme, kein Wechseltarif. „Demokratie ist wie Gesundheit: Erst wenn man sie nicht mehr hat, weiß man sie zu schätzen“, betont der Alte.
Publikum bleibt Lachen im Hals stecken
Der junge Neutag appelliert, sich politisch zu engagieren, versteht jedoch die Aversion: „In eine Partei einzutreten ist so attraktiv wie eitrige Akne zum Abschlussball“. „Wer hätte sich vor fünf Jahren vorstellen können, dass eine Mauer zwischen USA und Mexiko gebaut wird und die Mexikaner das zahlen?“, fragt der politische Kabarettist Neutag sein Publikum. Für einen Witz hätte man es gehalten, doch es ist heute ein Wahlkampfthema des „Orang-Utans“. Dem Publikum bleibt das Lachen im Halse stecken. Er zieht den bitter schmeckenden Pfropfen: „Vielleicht wird die Mauer mit den Ingenieuren des BER gebaut“.
Fußballprofis intellektuell unbewaffnet
Unverständnis zeigt Neutag für Politiker-Aussagen am Wahlabend: „Dafür übernehme ich die Verantwortung“ und treten ab. Vergleichbar sei, ein Tablett voller Kristall und Porzellan fallen zu lassen, die Verantwortung verbal zu übernehmen und wegzugehen. Es bleibt ein Scherbenhaufen zurück. Ähnlich sinnfrei äußern sich Fußballprofis nach einem Spiel beim Interview an der Außenlinie: „Intellektuell unbewaffnet“ wertet er.
Faktische Falschbehauptungen
Fußball gehört zur Leidenschaft von Jens Neutag, der einst mit Martin Maier-Bode Fußball-Kabarett präsentierte. Beleidigungen wie „Hurensohn“, die er bei Spiel Hoffenheim gegen Mainz hörte, rechnete er nach. Unter anderem aus den Variablen „Anzahl Prostituierte“ und „Besucher Stadion“ müsste jede Hure 77 Jungs zur Welt gebracht haben. Die Beschimpfung sei faktisch falsch.
Raffgier unter Lokaljournalisten
Auch vor den Lokaljournalisten macht er keinen Stopp und appelliert, das „eigene Denken nicht aufzugeben“. Raffgier unterstellt er ihnen zudem: Lege man hundert Kugelschreiber für drei Redakteure hin, sei sicher, dass alle verschwunden wären. In eigener Sache (Anmerkung der Autorin): An diesem Abend habe ich keine ausgelegten Kugelschreiber gesehen.
Hinter Wuppertal endet die Polonaise
Das Liedgut liegt ihm bisweilen auch quer und deutet die Verblödung der schunkelnden Mitsänger an: „Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse“. Physikalisch interessanter Vorgang, resümiert er und ergänzt, dass hinter Wuppertal Schwelm liege und die Polonaise dort ende.
Der rote Faden in seinem Programm stellt seine zufällige Wahl als Bürgermeister von Stadtkirchen dar. Er besucht IHK und Altenheim, berichtet von Bauvorhaben und Naturschutz und wünscht sich eigentlich nur: „Eine klare Haltung, eine klare Hand“.
Dank an Kunsthaus
Ein Meister syllogistischen Kabaretts und ein Mensch würdiger („Würde ist kein Konjunktiv“) Reden, ein Bauer mit essenziellen Samen für eine bessere Welt und ein Philosoph für den intellektuellen Zugang zum guten Ich. Das ist Jens Neutag und dankt dem Alldiekunst-Haus: „Sie rechnen nicht, sie machen. Danke an die Bühne“.