Velbert-Neviges. In Neviges gab es prächtige Bauten, die abgerissen wurden. Zum Auftakt der Serie „Verschwunden, aber nicht vergessen“ geht’s um das Josefshaus.
Es dominierte einst das Nevigeser Stadtbild, überragte mit seinem stattlichen Turm gar die Kirchen beider Gemeinden. Das im Jahr 1901 erbaute Vereinshaus des katholischen Gesellenvereins Neviges, ein prachtvoller Bau auf dem Gelände des Glockensaals, hat eine wechselvolle Geschichte. Und ist ein in vieler Hinsicht besonders spannendes Objekt, wie Stadthistoriker Gerhard Haun erzählt. Angesicht der zahllosen Anträge und Bewilligungen, die heute allein für den Umbau eines Einfamilienhauses nötig sind, kann man die Errichtung des Josefshauses getrost als Husarenstück einiger tollkühner Franziskaner bezeichnen. Doch der Reihe nach.
Gesellen sollten nicht verlottern
Im Jahr 1859 unterzeichnete Adolf Kolping, sechs Jahre vor seinem Tod, die Gründungsurkunde für den katholischen Gesellenverein. „Die Handwerkergesellen hatten damals kein gesichertes Einkommen, konnten keine Familie ernähren, waren unverheiratet. Das alles änderte sich erst mit dem Meisterbrief“, erzählt Gerhard Haun. Damit die jungen Männer nicht verlotterten, ihr weniges Geld im Wirtshaus auf den Kopf hauten und sich anderen weltlichen Vergnügungen hingaben, habe sich die katholische Gemeinde gedacht: Um die müssen wir uns kümmern. Man wollte den Gesellen eine Unterkunft bieten und einen Rahmen, in dem sie kontrolliert feiern konnten. „Also eine eigene Schankwirtschaft, die sollten sich zur Erholung ja ruhig mal einen Schnaps trinken dürfen.“
Der größte Verein der Gemeinde
Ein Vereinsheim musste her, das der Gesellenverein zunächst im Hintergebäude des katholischen Kolonialwarenhändlers Franz Joseph Frese in der Schulstraße 10 fand, heute Im Orth. Schon 50 Jahre nach seiner Gründung war der Gesellenverein mit 210 Mitgliedern der größte Verein der Gemeinde. „Neben ihm gab es zu dieser Zeit noch den Männerverein, den Jünglingsverein, den Jungfrauenverein und den Cäcilienverein“, so Haun. Sie alle sollten den Hinterhof, nutzen, da wurde dort das Gebäude des Kolonialwarenhändlers bald zu klein.
Franziskaner ergriffen das Ruder
Doch einen den Ansprüchen gerecht werdenden Treffpunkt zu bauen, traute sich weder der Gesellenverein noch die Pfarrgemeinde zu – auch aus finanziellen Gründen. Da heckte der dem Gesellenverein als Präses vorstehende Linus Schnorrenberg einen kühnen Plan aus. Gemeinsam mit dem Guardian des Franziskanerklosters gründete man im Dezember 1899 flugs den „Katholischen Schutzverein für soziale Bestrebungen“, und schon lag die Planung in den Händen der Franziskaner. Bereits vier Wochen zuvor, im November 1899, hatte Linus Schnorrenberg quasi im Alleingang für den Schutzverein ein Grundstück an der Löher Straße erworben. Hier standen noch das leerstehende Fabrikgebäude sowie das Geschäftshaus der ehemaligen Baumwollweberei Wolff & Krönig“. Die Fabrik wurde abgerissen, das Geschäftshaus blieb stehen. Auf dem Gelände wurde ein riesiges Vereinshaus gebaut. Grundsteinlegung war schon am 17. Juni 1900 – und das ohne jegliche Erlaubnis „von oben“.
Ohne Erlaubnis von oben
Hinweisschild bis in die 70er Jahre
Wegen der Schuldenlast war das Haus im Eigentum des Schutzvereins auf Dauer nicht zu halten. Daher sprang 1911 die Provinzleitung des Ordens als Verantwortliche ein.
An die Anfänge des Josefshauses erinnerte noch bis in die 70er Jahre an der Mauer Elberfelder Straße ein Hinweisschild „Zum kath. Vereins- und Gesellenhaus“. Es zeigte drei wandernde Gesellen und das Emblem der Kolpingsfamilie.
„Weder die Provinzleitung der Franziskaner, noch das Bistum in Köln wurden über den Neubau des Vereinshauses in Kenntnis gesetzt. Geschweige denn, um Genehmigung gebeten“, erzählt Gerhard Haun. Nichtsdestotrotz nahm der Schutzverein ein Darlehen in Höhe von 65.000 Goldmark auf, der geplante Bau wurde mit 158.000 Goldmark versichert. Rasend schnell ging es weiter: Bereits am 12. Mai 1901 wurde das prächtige Vereinshaus eingeweiht. Ein großer Saal mit Bühne für 300 Leute, zwei kleinere Säle, dazu in den Obergeschossen Zimmer für die Gesellen. Die Baukosten beliefen sich auf knapp 250.000 Goldmark. Zum Vergleich: Die protestantische Gemeinde erbaute ihr Gemeindehaus an der Siebeneicker Straße vier Jahre später für 60.000 Goldmark.
Lazarett im Ersten Weltkrieg
Es stellte sich bald heraus: Das Haus war viel zu groß, der Bedarf gar nicht vorhanden. Und für die Nutzung so vieler Vereine auch unpraktisch, einer störte den anderen“, erzählt Historiker Haun. Auch kam an einigen Stellen Pfusch am Prachtbau zutage, die Schnelligkeit hatte ihren Tribut gefordert. Nach langjährigen Beratungen, so Haun, habe die Provinzleitung schließlich die Verantwortung übernommen, 1911 kam das Vereinshaus unter dem Namen „St. Josefshaus“ in den Besitz der Ordensprovinz. „Seine große Zeit erlebte es als Exerzitienhaus in den 1920er Jahren, da kamen sehr viele Besucher, vorher hatte es im ersten Weltkrieg als Lazarett gedient.“ Das ehemalige Geschäftshaus der Baumwollweberei, das stehen geblieben war, hatte die Pfarrgemeinde schon 1911 übernommen und hier ein sehr viel bescheideneres Haus für Veranstaltungen eingerichtet. Rentabel machte es die Gastwirtschaft „Glocke“: In dem katholischen Vereinslokal ließ sich so mancher Pilger und Neviges-Besucher sein Bier schmecken.
Zurück zum Josefshaus: Nach 1945, erzählt der Stadthistoriker, seien hier noch verschiedene Gottesdienste abgehalten worden, vor allem auch für Kinder. Doch ein Großteil des Prunkbaus mit seinen gotischen Arkaden, den Spitzbogenfenstern und dem herrschaftlichen Turm blieb unbenutzt. Im Oktober 1965 wurde das Josefshaus abgerissen, schon am 11. Oktober, so Gerhard Haun, rückte die Baufirma Züblin für die ersten Vorbereitungen zum Bau des Mariendoms an.