Neviges. „Widerstand und Verfolgung in Neviges 1933-1945“ heißt das neue Buch von Rainer Köster. Der pensionierte Lehrer sprach dafür auch mit Zeitzeugen.
Eines ist Rainer Köster besonders wichtig: Akribisch seine wissenschaftlichen Quellen zu nennen. „Damit niemand sagen kann, das sind ja Fake News. Das war ja alles gar nicht so schlimm.“ Monatelang hat der ehemalige Gesamtschullehrer von morgens bis abends in diversen Archiven gesessen, hat sich durch Gestapo-Akten gewühlt, handschriftliche Briefe gelesen, mit Zeitzeugen gesprochen. Das Ergebnis „Widerstand und Verfolgung in Neviges 1933-1945“ ist eine gleichsam spannende wie berührende Schilderung einer Zeit, in der es bei allen Schrecken auch viele mutige Menschen gab.
„Neviges“ ist das fünfte Buch
Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt sich Köster mit dem Thema NS-Zeit, hat dazu bereits ähnliche Abhandlungen über die Städte Erkrath, Mettmann, Heiligenhaus und Langenberg geschrieben. Und jetzt eben Neviges. Eigentlich wollte er sein Buch schon am 8. Mai vorstellen, die Corona-Krise hat auch dieses Projekt ausgebremst. Nun hat Köster mit dem 1. September – am 1. September 1939 begann mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg – ein neues geschichtsträchtiges Datum gewählt. „Bis dahin hab ich auch meine letzten zehn Seiten fertig.“ Schon 2005 hat er das erste Material gesammelt, seine Studien dann aber auf Eis gelegt: „Das ging nicht neben dem Beruf.“ Und halbe Sachen macht Rainer Köster nicht, der sich unter anderem bei Christoph Schotten, Leiter des Stadtarchivs Velbert, für die Unterstützung bedankt.
Etwa 150 Personen hat Rainer Köster für Neviges herausgefunden, die in irgendeiner Weise etwas mit dem Thema Widerstand und Verfolgung zu tun haben. „Das sind Opfer, Zeugen, Denunzianten“, zählt Köster auf. Bis auf Letztere werden sie auch namentlich genannt. „Bei den Denunzianten habe ich lange mit mir gerungen und mich dann dagegen entschieden. Ich wollte das den Nachkommen ersparen, die können ja nichts dafür.“
Nachbarn zeigten Mitgefühl
Aktiv im Kreistag Mettmann
Rainer Köster (71), gebürtig in Velbert, unterrichtete an der Gesamtschule Geschichte, Politik und Geographie. Zwölf Jahre war er in Mettmann ehrenamtlicher DGB-Vorsitzender, heute berät er den DGB-Regionalvorstand Düsseldorf-Bergisch Land.
Seit Herbst 2009 sitzt Rainer Köster für die Fraktion Die Linke im Kreistag Mettmann
Von den Zeitzeugen, mit denen er sich getroffen hat, haben ihn zwei Tönisheider besonders beeindruckt: Paul Stegmann und Günther Judick. „Judick zum Beispiel hat die Zeit als Kind erlebt. Sein Vater kam ins KZ, die Nachbarn damals haben mitgefühlt und sich sehr solidarisch gezeigt.“ Ein Satz des Zeitzeugen, den Rainer Köster immer gern zitiert, sagt viel über die damalige Geisteshaltung vieler Tönisheider: „Ich war in unserer Straße das Kind mit den meisten Süßigkeiten, alle steckten mir etwas zu.“ A propos Zustecken: Viele hätten den Zwangsarbeitern, die in den Metallfabriken und auch in der Landwirtschaft schufteten, das ein oder andere Butterbrot zukommen lassen.
Es gibt zu wenig Stolpersteine
Mindestens 1200 Zwangsarbeiter, so Köster, habe es in Neviges und Tönisheide gegeben. „Ich schätze aber, es waren viel mehr. Die hab ich nur auf den Karteikarten gefunden.“ Für alle diese Menschen erhofft sich Rainer Köster ein Zeichen des Gedenkens – und überhaupt gebe es viel zu wenig Stolpersteine. Pfarrer Frank Overhoff, der auch viel zu diesem Thema recherchiert hat, so Köster, habe für Neviges 27 jüdische Menschen genannt, die verfolgt wurden. Köster: „Wir haben aber nur sieben Stolpersteine.“ Einer liegt vor dem ehemaligen Kaufhaus Gassmann, in dem schon einst die Familie Heumann Kurzwaren und mehr verkaufte. Helene Heumann ist 1943 deportiert und in Auschwitz ermordet worden.
Rebellische Edelweißpiraten
Aber es gab auch Menschen, die aufstanden, die sich einsetzten. Unter anderem die „Edelweiß-Piraten“, eine rebellischen Jugendbewegung, die dem NS-Regime mutig die Stirn bot. „Die Edelweiß-Piraten waren in Neviges besonders frech. Bei schönem Wetter zogen sie von Tönisheide bis zur Gaststätte Seidl, sangen dabei ihre Lieder.“ Rainer Kösters Buch erscheint im Selbstverlag und wird 12,50 Euro kosten. „Ich wäre bereit, den örtlichen Buchhandel einzubinden.“